„Unmögliche“ Oxidationsstufe: Chemikern ist es erstmals gelungen, das Erdalkalimetall Magnesium in die elementare Oxidationsstufe Null zu bringen. Statt wie sonst in Verbindungen zweifach positiv geladen zu sein, trägt das Element in der neu geschaffenen Komplexverbindung keine formale Ladung. Die drei Magnesiumatome im Zentrum dieses Moleküls sind damit gewissermaßen das kleinste Stück metallischen Magnesiums, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Magnesium (Mg) ist ein Metall mit niedriger Elektronegativität: Es zieht Elektronen kaum an und verliert bei chemischen Reaktionen leicht seine beiden Außenelektronen. In Verbindung mit anderen Elementen kommt es in der Natur daher nur als positiv geladenes Mg2+-Kation vor. Nur in Kombination mit bestimmten organischen Molekülen kann man Magnesium zu einer Komplexbindung mit der Oxidationsstufe 1 bringen. Anders als bei anderen Metallen ist es aber nie gelungen, das Magnesium in die Oxidationsstufe Null zu bringen – also in eine Verbindung, in der das Atom ohne Ionenladung und elementar vorliegt.
Komplexmolekül mit ungewöhnlichem Innenleben
Doch genau dies ist nun einem Team unter Leitung von Sjoerd Harder von der Universität Erlangen-Nürnberg gelungen – quasi durch Zufall. Eigentlich hatten die Forschenden vor, Magnesium-Magnesium-Bindungen zu spalten, um einwertige Magnesium-Radikale herzustellen. Bei dieser Synthese wurde Natriummetall eingesetzt. Der Versuchsaufbau sah vor, dass Natrium ein Elektron an Magnesium abgeben sollte.
Als die Chemiker Magnesium und Natrium mit dem großen, aus drei Kohlenwasserstoffringen bestehenden organischen Molekül BDI reagieren ließen, entstanden dunkle, rotbräunliche Kristalle. Nähere Analysen ergaben, dass die beiden Metalle in diesem neugebildeten Komplex anders reagierten als erwartet: Im Zentrum lagen zwei Natriumatome, die jeweils ein Elektron an das zuvor zweifach positive Magnesiumatom abgaben.
Magnesium mit Oxidationsstufe Null
Dadurch entstand ein zuvor noch nie beobachteter Mg(0)-Komplex – eine Verbindung, in der die zentralen Magnesiumatome die Oxidationsstufe Null haben und damit im Prinzip als elementares Metall vorliegen. Die Magnesium-Zentren in diesen Komplexen tragen aufgrund der einzigartigen Magnesium-Natrium-Bindung formal sogar eine negative Ladung, wie die Forschenden erklären.
Wie Harder und sein Team feststellten, entstehen zwischen Natrium und Magnesium eine Art „Geisteratome“ – Zonen erhöhter Anziehung, die die Elektronenpaare näher zum Magnesium hinziehen. Dieses reagiert dadurch völlig anders als gewöhnliche Mg2+-Verbindungen. Während die normalen Mg2+-Kationen Elektronen aufnehmen können, reagiert das elektronenreiche Mg(0) wie ein negativ geladenes Anion durch Elektronenabgabe.
Neuartiges Reduktionsmittel
Bestätigt wurde dies durch weitere Experimente, in denen die Chemiker den neuartigen Komplex mit organischen Lösungsmitteln wie Toluol oder Benzol in Kontakt brachten. Dabei reagierte der Komplex wie ein starkes Reduktionsmittel und gab schon bei leichtem Erhitzen Elektronen ab. Im Komplex kam es dadurch zu einer Umlagerung, durch die ein weiterer, neuartiger Komplex entstand. In seinem Zentrum lagen nun drei Magnesium-Atome wie Perlen auf einer Kette aufgereiht.
Auch dieser dreikernige Magnesium-Cluster reagiert wie atomares Mg(0) und kann als das kleinste Stück Magnesiummetall angesehen werden. Diese neue Klasse der Magnesium-Komplexe stellt die Magnesium-Chemie komplett auf den Kopf, wie die Chemiker erklären. Gleichzeitig eröffnet die extrem starke reduzierende Wirkung des Komplexes ganz neuen Möglichkeiten der Anwendung. (Nature, 2021; doi: 10.1038/s41586-021-03401-w)
Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg