Frei argumentiert: Erstmals hat sich eine künstliche Intelligenz in einer Debatte mit menschlichen Diskussionspartnern gemessen. Bei einer öffentlichen Diskussion tauschte das IBM-System „Project Debater“ zu zwei Themen Argumente und Gegenargumente aus – ohne diese Inhalte vorher trainiert zu haben. Das Schwierige daran: Die KI musste dafür selbstständig geeignete Argumente entwickeln und sie überzeugend vortragen – was ihr durchaus gelang, wie eine Befragung des Publikums hinterher ergab.
Künstliche Intelligenz macht immer mehr Fortschritte: Schon jetzt helfen die lernfähigen Algorithmen bei medizinischen Diagnosen, erkennen Fake-News oder fahnden nach Schäden in Atomkraftwerken. Sogar in der Justiz, als Chemiker oder als Planer von Physik-Experimenten können sie hilfreich sein. Einige dieser Systeme schaffen es dabei bereits, selbständig die nötigen Fähigkeiten zu trainieren – ohne menschliche Lehrer.
Debatte über zwei kontroverse Themen
Jetzt hat sich eines dieser „Maschinenhirne“ in eine weitere Domäne menschlicher Intelligenz vorgewagt: die Diskussion. In San Francisco hat sich die von IBM entwickelte künstliche Intelligenz „Project Debater“ erstmals in einer öffentlichen Debatte mit zwei erfahrenen menschlichen Diskussionspartner gemessen. Das Computersystem diskutierte mit seinen Gegenübern über zwei kontroverse Themen: die Subventionierung der Weltraumforschung und die Telemedizin.
Die Diskussion vor Publikum folgte dabei einer klassischen Struktur: Jeder Partner hatte vier Minuten Zeit für ein Eröffnungs-Statement, dann hatte der Gegenüber vier Minuten Zeit für eine Gegenrede und am Ende bekam jeder zwei Minuten Zeit für ein Schlusswort. Der Computer nahm die Argumente seines Partners über Mikrophone wahr und antwortete mittels Sprachausgabe.
Spontane Argumentation
Der Clou dabei: Die KI wurde im Vorfeld nicht auf diese Themen trainiert. Stattdessen bezog es seine Informationen während der Debatte aus einer 300 Millionen Quellen umfassenden Datensammlung und bereitete daraus seine Argumente auf. Geübt hatte das Computersystem das freie Argumentieren zuvor nur mit anderen Themen.
„Project Debater bringt uns damit einen Schritt näher an eine der großen Grenzen der KI: Die Beherrschung der menschlichen Sprache“, sagt Arvind Krishna, Leiter von IBM Research. Denn die freie Diskussion stellt enorme Anforderungen an den Computer: Er muss seine Ansichten in Form von Argumenten bringen, denen die Menschen folgen können. Gleichzeitig muss er direkt auf Argumente seines Gegenübers eingehen und flexibel, ohne vorgefertigte Inhalte reagieren.
Drei Kernfähigkeiten
Um das KI-System fit für die Debatte zu machen, rüsteten die IBM-Forscher es mit drei grundlegenden Fähigkeiten aus: Zum einen lernte es, aus Daten und Informationen eine Rede zusammenzustellen. Zum zweiten benötigte es die Fähigkeit, in gehörter Alltagssprache die Schlüsselargumente zu erkennen und zu verstehen. „Es muss dabei unterscheiden können zwischen Argumenten, die seine eigene Position oder aber die des Gegenübers stützen“, so Krishna.
Die dritte und möglicherweise schwerste Herausforderung ist die inhaltliche Ebene der Diskussion: Die KI muss verstehen, welche Dilemmata und Konflikte bei einer Thematik auftreten können. Dann muss es die Fakten auswählen, die seine Position bei diesem speziellen Aspekt des Themas stützen und diese dann so aufbereiten, dass daraus ein Argument wird.
Dies erfordert auch, dass die KI die im Laufe der menschlichen Geschichte entwickelten Regeln der Debatte versteht und auch, dass ein Argument durchaus subjektiv sein kann, wie IBM-Direktor Krishna erklärt. „Damit erobert Project Debater neues Territorium“, sagt er.
Erste Bewährungsprobe erfolgreich
Wie aber schlug sich die künstliche Intelligenz bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt? Immerhin war seine erste Diskussionspartnerin im Jahr 2016 Sieger des israelischen Debattierwettbewerbs geworden und damit keine Anfängerin in der Kunst des Argumentierens. Auch der zweite Gegenüber war ein erfahrener Debattier-Experte. Um herauszufinden, wer in den Debatten das Publikum mehr überzeugen konnte, wurde dieses nach den Schlussworten von Mensch und Maschine befragt.
Das Ergebnis: „Die Mehrheit des Publikums fand, dass Project Debater ihr Wissen mehr bereichert hatte als sein menschlicher Gegenpart“, berichtet Krishna. „Das ist eine sehr positive Entwicklung für die KI.“
Noch allerdings ist auch das Maschinenhirn nicht perfekt, wie der IBM-Forschungsdirektor einräumt. „Die Arbeit an dieser Technologie ist noch lange nicht abgeschlossen“, sagt er. „Dennoch hat sie das Potenzial, einmal bei komplizierten menschlichen Entscheidungen zu helfen.“ Ein solches KI-System könnte beispielsweise dabei helfen, faktenbasierte Argumente zu komplexen Themen zu finden, wie Krishna erklärt.
(IBM Research, 20.06.2018 – NPO)