Keine Science-Fiction mehr: Forscher haben ein Hirn-Organoid aus menschlichen Zellen mit elektronischen Komponenten kombiniert – und so ein lernfähiges bio-elektronisches KI-System erzeugt. Diese „Brainoware“ lernte durch Training, Sprachsilben zu erkennen und eine nichtlineare mathematische Gleichung zu lösen, wie das Team in „Nature Elektronics“ berichtet. Sie sehen in solchen bio-elektronischen Hybridsystemen großes Potenzial für künftige neuronale Netzwerke – allerdings wirft dies auch bioethische Fragen auf.
Im Vergleich zur künstlichen Intelligenz ist unser Gehirn ein Effizienzwunder: Obwohl es mit 200 Milliarden Zellen und Billionen von Synapsen weit komplexer ist als jedes KI-System, benötigt es nur rund 20 Watt. Bei einem künstlichen neuronalen Netz wie ChatGPT oder Bard sind es dagegen Millionen Watt. Deshalb arbeiten Wissenschaftler schon länger daran, biobasierte KI-Systeme zu entwickeln – lernfähige Computer auf Basis lebender menschlicher Neuronen.
Erste Anfänge solcher bio-elektronischen Hydrid-Systeme waren Roboter mit einzelnen lebenden Nervenzellen, im Jahr 2022 bewies „Dishbrain“, ein Hybrid aus Elektronik und einer Neuronenzellkultur, seine Lernfähigkeit, indem es das Videospiel „Pong“ spielte.
Hirn-Organoid als neuronales Netzwerk
Jetzt ist der nächste Schritt gelungen: Ein Team um Hongwei Cai von der Indiana University in Bloomington hat ein menschliches Hirn-Organoid so mit Elektronik verknüpft, dass ein lernfähiger Hybridcomputer entsteht. Das Hirn-Organoid wurde aus menschlichen Stammzellen gezüchtet, aus denen eine dreidimensionale Vorform des Gehirns mit verknüpften Neuronen, Astrozyten und ersten übergeordneten Hirnstrukturen wie Ventrikeln heranwuchs.
Solche Hirn-Organoide reagieren ähnlich wie das ausgewachsene menschliche Gehirn auf Reize und produzieren entsprechende elektrische Signale. Sie verändern ihre Reaktion und Verknüpfungen zudem ähnlich wie das lernende Gehirn in einem Menschen. „Für unsere ‚Brainoware‘ nutzen wir ein solches menschliches Hirn-Organoid als anpassungsfähiges lebendes Reservoir“, erklären Cai und seine Kollegen. Reservoir steht in diesem Fall für Reservoir-Computing, eine Variante des neuronalen Netzwerks, bei dem das Lernen primär in einer Schicht stattfindet.
Eine Hybrid-KI namens „Brainoware“
Für ihr hybrides KI-System „Brainoware“ platzierten Cai und sein Team ein menschliches Hirn-Organoid auf einer hochdichten Elektrodenplatte. Über diese Elektroden konnten sie die Hirnströme des Mini-Hirns ableiten, es aber auch elektrischen Reizen aussetzen. „Das organische neuronale Netzwerk erhält über diese externe elektrische Stimulation Eingaben und sendet seinerseits Ausgaben über evozierte neuronale Aktivität – das bildet die funktionale Basis für ein KI-Computing“, erklärt das Team.
Konkret ließen die Forschenden dieses bio-elektronische Hybridsystem zwei Aufgaben absolvieren. In der ersten sollte Brainoware lernen, von verschiedenen Sprechern gesprochene japanische Silben zu erkennen. Dafür wandelte die externe Elektronik die akustischen Signale in elektrische Pulse um und leitete sie an das Hirn-Organoid weiter. Die vom Organoid erzeugte spezifische Reaktion wurde abgeleitet und wieder von der Elektronik dekodiert. Das menschliche Hirngewebe sollte lernen, die Silbensignale wiederzuerkennen.
Erfolg bei Spracherkennung und nichtlinearen Gleichungen
Und tatsächlich: Während das Hirn-Organoid anfangs nur Zufallstreffer landete, erkannte es nach vier Trainingseinheiten die Silbenmuster mit rund 78-prozentiger Trefferquote wieder. „Das zeigt, dass Brainoware seine Spracherkennung durch das Training verbessert hat“, berichten Cai und sein Team. Dies zeigte sich auch in der Struktur des Mini-Hirns: „Die trainierten Hirn-Organoide haben deutlich mehr veränderte Verknüpfungen – beispielsweise geschwächte, gestärkte, neue und gestutzte Synapsen – als die untrainierten“, so die Forschenden.
Auch die zweite Aufgabe konnte das bio-elektronische Hybrid-System lösen. Dafür sollte Brainoware eine sogenannte Hénon-Karte erstellen, die zweidimensionale Abbildung einer nichtlinearen dynamischen Gleichung, die in der Mathematik, Meteorologie oder Physik Anwendung findet. Nach nur vier Trainingseinheiten lag seine Präzision nur noch wenig unter der eines künstlichen neuronalen Netzwerks mit 50 Trainingseinheiten, wie das Team berichtet. Das Hybrid-System lernte demnach schneller.
Chance für zukünftige KI-Systeme…
Nach Ansicht von Cai und seinen Kollegen demonstriert dies, dass sich lebende Hirnzellen als Basis für lernfähige künstliche Intelligenzen nutzen lassen. „Menschliche Hirn-Organoide haben die Fähigkeit zur Selbstorganisation und bilden funktionale organische neuronale Netze, die sich für die Entwicklung von hirn-inspirierter Hardware nutzen lassen“, schreiben die Forschenden. Sie sehen in solchen bio-elektronischen Hybrid-Systemen eine vielversprechende Chance, künstliche Intelligenz effizienter und leistungsfähiger zu machen.
…oder ethisch fragwürdig?
Doch die Kombination von menschlichem Hirngewebe mit elektronischen Komponenten wirft auch ethische Fragen auf: Ist es überhaupt moralisch vertretbar, solche Mini-Gehirne als Computer zu verwenden? Was ist, wenn diese Organoide ein Bewusstsein entwickeln? Welche Rechte haben sie dann? Schon im Oktober 2023 plädierten Forschende deshalb dafür, diese Fragen zu klären, bevor die Entwicklung von bio-elektronischen Hybrid-Systemen weiter voranschreitet.
Ähnlich kritisch sehen es auch nicht an der Studie beteiligte Forschende um Lena Smirnova von der Johns Hopkins University in Baltimore: „In den nächsten Jahren werden zunehmend komplexere, mit künstlichen Umgebungen interagierende bio-neuronale Systeme entwickelt werden“, schreiben sie in einem begleitenden Kommentar. „Wenn die Fähigkeiten dieser Organoid-Systeme wachsen, wird es entscheidend sein, die vielen neuroethischen Fragen anzugehen, die solche Biocomputer mit menschlichem Hirngewebe aufwerfen.“ (Nature Electronics, 2023; doi: 10.1038/s41928-023-01069-w)
Quelle: Nature Electronics