Kryptografie der etwas anderen Art: Biologisch inspirierte Muster könnten künftig der fälschungssicheren Verschlüsselung von Daten dienen – und weitgehend unknackbar sein. Ihre Basis bildet eine Simulation, die das Wachstum von Bakterienkolonien nachahmt und dabei je nach Vorgabe jeweils andere Verzweigungen bildet. Der Clou dabei: Weil dieses Muster selbst beim gleichen „Buchstaben“ leicht variiert, kann nur ein zuvor trainiertes KI-System die Botschaft entschlüsseln.
In der Kryptografie herrscht ein ständiger Wettstreit: Die eine Seite sucht immer bessere Verschlüsselungsmethoden, die andere entwickelt Verfahren, um diese zu knacken. Dabei kommen neben klassischen Verschlüsselungen mithilfe von Zufallszahlen zunehmend auch chemische oder biologische Hilfsmittel als Kryptografie-Helfer zum Einsatz. Die Spanne reicht von manipulierten Molekülstrukturen über Fluoreszenz-basierte Verschlüsselungen bis hin zur DNA als Zufallszahlengenerator.
Bakterienwachstum als „Geheimschrift“
Eine andere Variante biologisch inspirierter Kryptografie stellen nun Jia Lu und ihre Kollegen von der Duke University in den USA vor. Basis ihres Systems bilden die veränderlichen und doch typischen Wachstumsmuster von Bakterienkolonien in einer Petrischale. „Bei solchen natürlichen Systemen sind sich die finalen Muster bei gleichen Ausgangs- und Wachstumsbedingungen im Großen und Ganzen ähnlich – trotz lokaler Variationen“, erklärt das Team. „Diese Eigenschaft wird auch als Edge of Chaos bezeichnet.“
Anders ausgedrückt: Die Bakterien derselben Art bilden typische, wiedererkennbare Verzweigungsmuster ihrer Kolonien. Diese Muster sind zwar nicht identisch, aber sehr ähnlich, wenn die Mikroben unter gleichen Bedingungen wachsen. Ändern sich die Bedingungen jedoch, spiegelt sich dies auch im Verzweigungsmuster weder. Genau hier setzt die Kryptografiemethode von Lu und ihrem Team an.
Nur mit speziell trainierter KI dekodierbar
Für ihre Verschlüsselung haben die Forschenden eine Simulation entwickelt, die das Wachstumsmuster von Kolonien der Bakterienart Pseudomonas aeruginosa nachstellt – inklusive der subtilen Variationen trotz gleicher Bedingungen. Durch gezielte Veränderungen in der Position und Zahl der Ausgangszellen kann dieses System nun genutzt werden, um verschiedene Buchstaben zu kodieren. „Jeder Buchstabe wird dabei durch ein oder mehrere unter jeweils spezifischen Bedingungen erzeugte Muster repräsentiert“, erklären die Forschenden.
Der Clou dabei: Die natürlichen Variationen im Verzweigungsmuster machen es für das menschliche Auge nahezu unmöglich, die Codierungen auszulesen. Erst ein lernfähiger Algorithmus kann nach intensivem Training unterscheiden, was bloß interne Variation ist und was einen anderen Buchstaben kennzeichnet. Die über eine Abfolge dieser Buchstabenmuster kodierte Botschaft kann daher vom Empfänger nur mit einem KI-System dekodiert werden, das dieses Training zuvor absolviert hat.
Seniorautor Lingchong You vergleicht das Prinzip mit der Gesichtserkennung: „Auf Fotos von mir werde ich nie genau gleich aussehen. Aber weil ein Freund mich längere Zeit in vielen verschiedenen Situationen und aus verschiedenen Blickwinkeln sieht, erkennt er mich auch auf einem nie zuvor gesehen Foto wieder.“ In ähnlicher Weise muss auch der Algorithmus erst lernen, die Verzweigungsmuster trotz kleinerer Variationen den richtigen Buchstaben zuzuordnen.
Praxistests bestanden
Um zu testen, wie zuverlässig diese Bakterien-Kryptografie funktioniert, erstellten Lu und ihr Team ein ganzes Alphabet von Pseudomonas-Koloniemustern. Mit diesem von ihnen „Emorfi“ getauften Code verschlüsselten sie dann mehrere Texte, darunter die berühmte Rede „I have a Dream“ von Martin Luther King und ein Gedicht von William Blake. Aus den kodierten Mustern erzeugten sie ein Video, das dann als Botschaft an den Empfänger gehen würde.
Der Test ergab: Das auf die Emorfis trainierte KI-System entschlüsselte in beiden Fällen mehr als 99 Prozent der Tests korrekt. Wurde dagegen ein untrainierter Algorithmus auf die Wachstumsmuster angesetzt, schaffte er weniger als zwei Prozent, wie die Forschenden berichten. „Unser System demonstriert damit eine skalierbare Strategie für das sichere und verlässliche Kodieren und Dekodieren von Information“, konstatieren Lu und ihre Kollegen.
Mikroben-Code zum Ausprobieren
Wer neugierig ist, wie diese von Mikroben inspirierte Kryptografie funktioniert, kann dies selbst ausprobieren: Das Forschungsteam hat eine Version ihres Systems online gestellt. Auf der Website kann man so selbst einen beliebigen Text als Bakterienmuster verschlüsseln. (Patterns, 2022; doi: 10.1016/j.patter.2022.100590)
Quelle: Duke University