Schnelle Hilfe, ohne die eigene Sicherheit zu gefährden – dieser Herausforderung sehen sich Rettungsteams bei Katastrophen wie Erdbeben, Großbränden und Chemieunfällen gegenüber. Sie erhalten jetzt Unterstützung aus der Luft: Forscher der Universität Karlsruhe haben den Mini-Helikopter "Air-Quad" entwickelt – ein autonom fliegendes Beobachtungsgerät mit vier Rotoren, das über mögliche Gefahren am Einsatzort informiert und sogar Opfer aufspüren soll.
"Das programmierbare Flugverhalten haben wir mit einem komplexen Navigationssystem realisiert. Dadurch sind ein gezielter Anflug und die Beobachtung mit einer Kamera möglich, auch außerhalb der Reichweite einer Funkstrecke und ohne Eingreifen eines Piloten", erklärt Professor Gert F. Trommer vom Institut für Theoretische Elektrotechnik und Systemoptimierung (ITE) die Neuentwicklung.
Der Mini-Helikopter kann die Helfer beispielsweise nach einem Erdbeben bei der Suche nach Verletzten in einem einsturzgefährdeten Gebäude unterstützen. Er kann von außen in unzugängliche Stockwerke blicken und soll zukünftig auch in ein Gebäude hineinfliegen, um Zimmer und Flure abzusuchen. "Ich kann dem Gerät den Auftrag geben: Fliege zu diesem Punkt, bleibe zwei Minuten, mache Fotos und komme dann zurück – ohne dass ich während des Fluges eingreifen muss", so Oliver Meister, ein Mitarbeiter von Trommer am Air-Quad-Projekt. Der Helikopter kann dabei eine Strecke entlang programmierter Punkte abfliegen oder einen Beobachtungspunkt einnehmen, an dem er mit einer bestimmten Blickrichtung schwebt.
Navigationssystem der besonderen Art
Hinter diesen Fähigkeiten steht ein neu entwickeltes integriertes Navigationssystem: Die Daten der Sensoren werden situationsbedingt mit einem Algorithmus so kombiniert, dass sich Genauigkeit und Robustheit des Systems auf ein Maß steigern, das keines der Teile allein erreichen könnte. Wesentlicher Bestandteil sind besonders leichte und Platz sparende MEMS-Sensoren (Micro-Electro-Mechanical System), die die Drehraten und die Beschleunigung des Air-Quad messen.
Um mögliche Fehler auszugleichen, haben Trommer und seine Mitarbeiter Komponenten hinzugefügt, die das System mit weiteren Daten stützen: einen GPS-Satelliten-Empfänger zur Positionsbestimmung, einen Magnetfeldsensor zur Bestimmung der Nordrichtung, sowie einen Luftdrucksensor zur zentimetergenauen Höhenregelung. Die Daten aller Komponenten werden zusammengeführt und ermöglichen dann genaue Informationen zu Position, Geschwindigkeit und Ausrichtung des Fluggeräts. Ein Flugregler überprüft die Fluglage kontinuierlich und korrigiert sie gegebenenfalls. Mit diesem Regler und dem Autopiloten ist der Air-Quad in der Lage, den vorgegebenen Flugpfad selbstständig zu verfolgen.
Es ist jedoch auch möglich, dass ein Pilot den Helikopter bedient. Über eine Videobrille empfängt der Nutzer dann die vom Helikopter gesendeten Bilder. Der Air-Quad ist damit auch steuerbar, wenn er sich außerhalb der Sichtweite des Nutzers befindet. Die maximale Reichweite der Videoübertragung beträgt derzeit rund 1.000 Meter.
Fünf Kilometer Aktionsradius
Die Steuerung erfolgt ausschließlich über die Drehzahl der vier Rotoren des Air-Quad. Dieses mechanisch vergleichsweise einfache Konzept der vier Rotoren reduziert die Kosten und den Wartungsaufwand gegenüber einem klassischen Helikopter erheblich. Der Air-Quad ist mit einem Lithium-Ionen-Akku ausgestattet, der eine Flugzeit von bis zu 25 Minuten erlaubt – das entspricht im Einsatz einem Aktionsradius von vier bis fünf Kilometern.
Das bei einer Achsenlänge von 45 Zentimetern maximal 1.000 Gramm leichte Gerät aus Karbon verfügt über eine Nutzlast von 200 Gramm. Anstelle einer TV- oder Digitalkamera kann der Air-Quad auch andere Messgeräte mitführen, zum Beispiel eine Infrarot-Nachtsichtkamera oder chemische Sensoren.
Auf dem Weg zum autonomen System
Langfristiges Ziel des ITE-Projektes ist es, dass der Air-Quad im Security-Bereich vollständig autonom einsetzbar ist. Er soll dann in der Lage sein, ein Gelände zu beobachten und Störungen selbstständig zu überprüfen. In Einsatzszenarien, in denen die Reichweite oder die Leistungsfähigkeit eines Systems nicht ausreicht, soll die Aufgabe auf mehrere vernetzte Systeme verteilt werden. Zudem will das ITE die Verarbeitung der Bilder, die der Air-Quad aufnimmt, so verbessern, dass er automatisch Bewegungen, zum Beispiel von Fahrzeugen, erkennen, verfolgen und eindeutig lokalisieren kann.
(idw – Universität Karlsruhe (TH), 30.10.2006 – DLO)