Verborgene Muster: Selbst der beste Schlagzeuger produziert beim Spielen winzige Schwankungen in Rhythmus und Lautstärke. Doch diese sind keineswegs zufällig, wie Forscher jetzt entdeckten. Stattdessen bilden sie Fraktale: Die Abweichungen sind auf gleich mehreren Ebenen selbstähnlich. Solche Muster absichtlich zu erzeugen, ist nahezu unmöglich, aber unabsichtlich scheinen sie unsere Musik sogar entscheidend zu prägen, so die Wissenschaftler im Fachmagazin „PLoS ONE“.
Warum erkennen wir instinktiv, ob ein Ticken oder ein anderer Rhythmus von einen Menschen oder von einer Maschine stammt? Und warum empfinden wir ersteres als angenehm, letzteres aber eher als nervend? Der Verdacht liegt nahe, dass es etwas damit zu tun haben könnte, wie gut der regelmäßige Takt eingehalten wird. Aber was genau spielt dafür eine Rolle? Das haben Holger Hennig vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und seine Kollegen nun untersucht.
Hi-Hat-Beats als Testobjekt
Als Versuchsobjekt wählten sie das Spiel des berühmten US-Schlagzeugers Jeff Porcaro. Bis zu seinem frühen Tod 1992 spielte er mit vielen Stars der Branche – darunter Pink Floyd, Michael Jackson, Madonna, Bruce Springsteen und Frank Sinatra. Berühmt war er für sein charakteristisches Einhand-Spiel auf der Hi-Hat, einem Becken-Paar, das besonders hohe Töne produziert.
Die Forscher wollten anhand des Songs „I Keep Forgettin‘“ herausfinden, was genau den Reiz von Porcaros Spiel ausmacht. „Er enthält ein berühmtes Muster aus Sechzehntel-Noten und eine große Menge von Hi-Hat-Beats“, erklärt Hennig. Vor allem die berühmten Hi-Hat-Beats wollten sie sich genauer ansehen. Dazu analysierten die Forscher die digitalen Daten des Stücks und trennten dafür die verschiedenen Instrumente auf.
Selbstähnliche Muster
Das erstaunliche Ergebnis: Der Schlagzeuger spielt nicht hundertprozentig regelmäßig, aber sein Rhythmus schwankt auch nicht komplett zufällig. Stattdessen zeigen die Unregelmäßigkeiten der Beats beim Rhythmus und bei der Lautstärke ein typisches fraktales Muster. Das bedeutet, dass die Strukturen in längeren Zeitabschnitten denen kürzerer Zeitintervalle ähneln – das Ganze ist selbstähnlich.
„Sie gleichen sich auf verschiedenen Zeitskalen – genauso wie eine Küstenlinie auf unterschiedlichen Längenskalen ähnlich aussieht“, erklärt Hennig. Die fraktalen Muster waren bei den Hi-Hat-Beats auf mehreren Ebenen zu erkennen, sowohl wenn man nur zwei Takte betrachtete als auch beim gesamten Stück. Beim Rhythmus beschleunigt und verzögert Jeff Porcaro in wenigen Takten demnach nach demselben Muster wie über das ganze Stück gesehen.
Machen die Fraktale den Menschen aus?
Hennig ist überzeugt: „Die fraktalen Muster sind Teil der Magie von Porcaros Spiel.“ In diese Richtung deuten auch frühere Untersuchungen zum Musikhören: Menschen erkennen intuitiv, ob ein Rhythmus von einem Musiker oder von einer Maschine stammt – selbst wenn ein Randomizer dafür sorgt, dass der maschinelle Drummer bei jedem Schlag ein wenig vom präzisen Muster abweicht.
Die Erkenntnisse über Porcaros Spiel dürften sich daher generell auf Musik übertragen lassen: „Wir gehen davon aus, dass die fraktalen Muster im Rhythmus und in den Lautstärkeschwankungen universell sind, das heißt immer auftreten, wenn ein Mensch einen Rhythmus über eine längere Zeit hält“, sagt Hennig.
Herzkranke und Pianisten mit Parkinson
Die große Bedeutung von Fraktalen zeigt sich aber auch in anderen Bereichen: „Herzschlagintervalle weisen normalerweise fraktale Muster auf – bei einer lebensbedrohlichen Herzkrankheit hingegen, bei der das Herz zu präzise schlägt, fehlen diese Muster“, so Hennig. „Und auch beim Spiel von professionell ausgebildeten Pianisten mit Parkinson fanden wir, dass die fraktalen Muster verloren gehen.“
Wie die fraktalen Muster in Porcaros Spiel entstehen, ist noch nicht geklärt. Die Forscher vermuten, dass die Feuermuster seiner Neuronen dahinter stehen. Denn auch sie besitzen fraktale Eigenschaften. Dem Thema wollen die Wissenschaftler jedenfalls treu bleiben: In einem künftigen Projekt untersuchen sie die Frage, wie das Zeitempfinden von Musikern funktioniert und wann eine Band einen gemeinsamen „Groove“ gefunden hat. Es wäre keine Überraschung, wenn Fraktale auch dabei eine wichtige Rolle spielen. (PLOS One, 2015; doi: 10.1371/journal.pone.0127902)
(Max-PLanck-Gesellschaft, 20.08.2015 – NPO)