Etwas gruselig, aber nützlich: Forscher haben erstmals Nanoroboter erschaffen, die zerstörungsfrei unser Auge durchqueren können. Die Roboter bewegen sich mit Minipropellern durch den dichten Glaskörper des Auges, ohne dort Schäden zu hinterlassen – und sind dabei von außen über ein Magnetfeld steuerbar. Dadurch könnten solche Nanoroboter künftig Medikamente zur Netzhaut oder in andere schwer zugängliche Gewebe transportieren, wie die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“ berichten.
Spritzen, Tabletten und andere gängige Verabreichungsmethoden für Medikamente haben einen gravierenden Nachteil: Sie bringen die Mittel meist nicht direkt an ihren Wirkort im Körper. Stattdessen müssen die Wirkstoffe erst mit dem Blut dorthin gelangen und werden entsprechend verdünnt. Deshalb arbeiten Forscher schon seit längerem an Nanofähren, die Arzneimittel gezielt an ihren Wirkort transportieren können – beispielweise in Form von Nanopartikeln, winzigen Polymer-Robotern oder Nanoröhrchen mit chemischem Düsenantrieb.
Barriere Glaskörper
Alle bisherigen Nanofähren haben aber einen Nachteil: Für den Transport von Medikamenten an die Netzhaut des Auges eignen sie sich nicht. Der Grund: Zwischen Linse und Netzhaut liegt der Glaskörper des Auges – ein gelartiges Gebilde, das vorwiegend aus eng vernetzten Kollagenfasern, Hyaluronsäure und Wasser besteht. Spezielle Moleküleigenschaften machen dieses engmaschige Geflecht zudem „klebrig“, so dass es für größere Partikel wie eine Barriere wirkt.
Doch nun haben Zhiguang Wu vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart und seine Kollegen einen Nanoroboter entwickelt, der dieses schwierige Terrain durchschwimmen kann – und das ohne Schäden an der sensiblen Matrix des Glaskörpers zu hinterlassen. Der Clou dabei: Diese Nanoroboter sind zudem einfach von außen zu steuern und können so gezielt zur Netzhaut gelenkt werden.
Mini-Propeller mit Antihaft-Beschichtung
Die neuartigen Nanofähren werden von winzigen schraubenförmigen Propellern angetrieben, die aus einer Verbindung aus Siliziumdioxid und Nickel oder Eisen als ferromagnetischer Komponente bestehen. Diese nur 500 Nanometer dicken Antriebseinheiten sind gerade dünn genug, um durch die Maschen des Kollagennetzwerks im Glaskörper schlüpfen zu können, wie die Forscher berichten. Legt man nun von außen ein Magnetfeld an, beginnen sich die Minipropeller zu drehen und treiben die Nanoroboter vorwärts.
Das Entscheidende aber ist eine zweilagige Antihaftbeschichtung, die der „Klebrigkeit“ des Glaskörpernetzwerks entgegenwirkt. „Bei der Beschichtung haben wir uns von der Natur inspirieren lassen“, erklärt Wu. Denn der äußere flüssige Überzug ähnelt dem Antihaftmittel der Kannenpflanze – einer fleischfressenden Pflanze, die Insekten anlockt und in ihre glitschige Fallgrube rutschen lässt.
„Das ist so schlüpfrig wie die Teflonbeschichtung einer Bratpfanne. Diese Schicht sorgt dafür, dass die Haftung zwischen dem Netz aus Molekülen im Glaskörper des Auges und der Oberfläche unserer Nanoroboter möglichst klein bleibt“, erklärt Wu.
Erfolg im Schweineauge
Wie gut die neuartigen Nanoroboter funktionieren, haben die Wissenschaftler an herauspräparierten Schweineaugen getestet. Dafür injizierten sie gleich einen ganzen Schwarm von tausenden Nanorobotern hinter die Linse. Angetrieben und gesteuert wurden die Nanoroboter dabei durch ein von außen angelegtes Magnetfeld. Unter dessen Einfluss begannen sich die Propeller zu drehen und die winzigen Roboter schraubten sich erstaunlich effektiv durch das dichte Labyrinth des Glaskörper-Netzwerks.
Die Nanoroboter schafften es, von der Linse mehrere Zentimeter weit bis zur Netzhaut der Schweineaugen zu schwimmen – ohne die sensible Matrix des Glaskörpers zu beschädigen, wie die Forscher berichten. „Wir demonstrieren damit die ersten Mikropropeller, die den Glaskörper durchdringen und die Netzhaut erreichen können“, konstatieren Wu und seine Kollegen.
Vielversprechende Wirkstofffähren
Nach Ansicht der Forscher könnten sich solche Nanoroboter künftig dafür eignen, Medikamente oder andere Therapeutika genau dorthin zu bringen können, wo sie gebraucht werden – ohne, dass ein größerer operativer Eingriff nötig wäre. „Der magnetische Antrieb der Nanoroboter, ihre ausreichend kleine Größe sowie die rutschige Beschichtung sind nicht nur im Auge, sondern können auch für die Penetration anderer Gewebe im menschlichen Körper nützlich sein“, sagt Wus Kollege Tian Qiu.
Die Wissenschaftler arbeiten bereits daran, die Nanofahrzeuge zu Transportmitteln für Wirkstoffe auszubauen. „Das ist unsere Vision: Wir wollen unsere Nanopropeller als Werkzeuge für die minimal-invasive Behandlung von Krankheiten aller Art einsetzen können, bei denen der Problembereich schwer zugänglich und von dichtem Gewebe umgeben ist“, sagt Qiu. (Science Advances, 2018; doi: 10.1126/sciadv.aat4388)
(Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, 05.11.2018 – NPO)