Ordnung statt Chaos: Forscher haben erstmals eine Methode gefunden, mit der sich gezielt nur jeweils eine bestimmte Sorte von Kohlenstoff-Nanoröhrchen erzeugen lassen. Bisher entstand immer ein Gemisch verschieden strukturierter Röhrchen, die damit nicht alle für die gewünschte Anwendung geeignet waren. Mit einem raffinierten Trick – einer Art Wachstumskeim – haben die Materialforscher diese Hürde nun überwunden, wie sie im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Nanoröhrchen aus Kohlenstoff sind vielversprechende Bausteine für Anwendungen von der Mikroelektronik bis zum Windradbau. Mit ihnen könnten sich elektronische und elektro-optische Bauteile noch kleiner und mit noch schnelleren Schaltzeiten als bisher fertigen lassen. Doch dafür müssen Materialwissenschaftler die Nanoröhrchen gezielt mit gewünschten Eigenschaften ausrüsten, die von deren Struktur abhängen.
Mit einem Durchmesser im Bereich eines Nanometers gelten beispielsweise einwandige Nanoröhrchen (engl. single wall CNT, SWCNT) als besonders gut für elektronische Anwendungen geeignet. Doch geringste strukturelle Unterschiede etwa im Durchmesser oder in der Ausrichtung des Atomgitters können die elektronischen Eigenschaften dramatisch verändern: Ein SWCNT kann metallisch sein, während ein strukturell leicht anderes halbleitend ist. Entsprechend groß ist das Interesse an zuverlässigen Methoden, um SWCNT möglichst sortenrein herzustellen.
Monokultur statt Formenchaos
Bei den bisherigen Herstellungsmethoden entstand jedoch stets ein Gemisch verschiedener Nanotubes. Seit 20 Jahren suchen Forscher daher nach Methoden, gezielt nur jeweils eine bestimmte Sorte der Nanoröhrchen zu erzeugen – jetzt bietet sich ihnen dafür eine elegante Lösung.
Die Idee von Martin Jansen vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart und seinen Kollegen von der Empa im Schweizer Dübendorf: Sie erzeugen die Kohlenstoffnanoröhrchen aus kleineren Vorläufermolekülen, deren Struktur die des Nanoröhrchens eindeutig bestimmt.
Das Ausgangsmolekül dient dabei quasi als Keim für das SWCNT. „Die Herausforderung bestand nun darin, das geeignete Ausgangsmolekül zu finden, das auf einer glatten Oberfläche auch tatsächlich ‚keimen‘ würde“, so Roman Fasel von der Empa. Das gelang schließlich mit der Synthese eines Kohlenwasserstoff-Moleküls aus immerhin 150 Atomen.
Molekulares Origami auf der Platinoberfläche
Wie geht nun der Prozess, bei dem sich das Kohlenstoffnanoröhrchen aufbaut, konkret vonstatten? Im ersten Schritt muss sich das flache Ausgangsmolekül – ähnlich wie beim Origami – zu einem dreidimensionalen Objekt, dem Keimling, umformen. Dies geschieht auf einer heißen Platinoberfläche durch eine katalytische Reaktion, bei der sich von dem Vorläufermolekül Wasserstoffatome abspalten und an ganz bestimmten Stellen neue Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen bilden.
Aus dem flachen Molekül faltet sich der Keim: ein kleines, kuppelartiges Gebilde mit offenem Rand, das auf der Platinoberfläche sitzt. Diese sogenannte Endkappe bildet den Deckel des wachsenden SWCNT. In einem zweiten chemischen Prozess lagern sich weitere Kohlenstoffatome an, die bei der katalytischen Zersetzung von Ethen auf der Platinoberfläche entstehen. Sie setzen sich auf den offenen Rand zwischen Endkappe und Platinfläche und heben die Kappe immer weiter an; das Röhrchen wächst langsam in die Höhe.
Dabei bestimmt ausschließlich die Form des Keims die atomare Struktur des Nanoröhrchens. Dies wiesen die Forscher durch eine Analyse der Schwingungsmodi der SWCNT sowie Messungen im Rastertunnelmikroskop nach. Weitere Untersuchungen an der Empa zeigten, dass die entstandenen SWCNT über 300 Nanometer lang werden.
Maßgeschneidert für verschiedenste Anwendungen
Die Ergebnisse zeigen, dass sich das Wachstum und damit die Struktur langer SWCNT mit maßgeschneiderten molekularen Keimen eindeutig vorgeben lassen. Die in dieser Studie synthetisierten SWCNT können dabei in zwei Formen vorliegen, die sich ein Gegenstand und sein Spiegelbild gleichen. Indem die Forscher das Vorläufermolekül entsprechend wählen, beeinflussen sie, welche der beiden Varianten entsteht.
Je nachdem, wie sich das wabenartige Atomgitter aus dem Anfangsmolekül ableitet – gerade oder schräg bezüglich der CNT-Achse –, können aber auch nicht-spiegelsymmetrische, schraubenartig gewundene, das heißt rechts- oder links-drehende Röhrchen entstehen. Und genau diese Struktur bestimmt dann auch, welche elektronischen, thermo-elektrischen und optischen Eigenschaften das Material besitzt. Die Forscher können also prinzipiell durch die Wahl des Ausgangsmoleküls gezielt Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften herstellen.
In weiteren Schritten möchten Fasel und seine Kollegen noch besser verstehen, wie SWCNT eine Oberfläche besiedeln. Auch wenn schon jetzt weit mehr als 100 Millionen Nanoröhrchen pro Quadratzentimeter auf der Platinoberfläche wachsen, entstehen doch nur aus einem vergleichsweise kleinen Teil der Keime auch tatsächlich «ausgewachsene» Nanoröhrchen. Stellt sich die Frage, welche Prozesse dafür verantwortlich sind und wie sich die Ausbeute erhöhen lässt. (Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13607)
(Max-Planck-Gesellschaft, 11.08.2014 – NPO)