Exotische Chemie: Chemiker haben bei Hochdruckexperimenten zwei neuartige Carbide mit einzigartiger, nie zuvor nachgewiesener Struktur entdeckt. Eine dieser Calcium-Kohlenstoff-Verbindungen bildet flache Endlosstreifen aus Sechserringen, die andere Polymerketten aus verzerrten Kohlenstoffringen – so etwas kannte man bisher nur von Kohlenwasserstoffen. Die Hochdruck-Carbide geben neue Einblicke in das Verhalten von Kohlenstoff unter hohem Druck, aber auch den möglichen Ursprung organischer Moleküle im Weltraum.
Das Element Kohlenstoff ist allgegenwärtig und bildet die Basis für unsere gesamte Lebenswelt sowie unzählige organische Verbindungen – mehr als zehn Millionen sind bisher bekannt. Schon der Kohlenstoff allein kann von Graphit über Graphen bis zum Diamant verschiedenste Strukturen annehmen, in Kombination mit Wasserstoff und anderen Bindungspartnern erzeugt er komplexe dreidimensionale Gebilde aus Ringen, Kugeln, Ketten und anderen Formen – wahre Kunstwerke der Chemie.
Wie reagiert ein normales Carbid auf Hochdruck?
Jetzt hat ein Chemikerteam um Saiana Khandarkhaeva gleich zwei ganz neue Varianten der vermeintlich einfachsten Kohlenstoffverbindung entdeckt – den Carbiden. In diesen sind Kohlenstoffatome mit nur einem anderen Bindungspartner verknüpft, meist einem Metall. Die resultierenden Moleküle sind in der Regel einfach gerade oder hantelförmig und wenig komplex – so jedenfalls dachte man.
Allerdings gibt es chemische Modelle, die anderes nahelegen: „Sie deuten darauf hin, dass hoher Druck die Bindungsmuster der Carbide verändern kann und so neue Verbindungen mit ungewöhnlichen Struktureinheiten und Eigenschaften entstehen“, erklären Khandarkhaeva und ihre Kollegen. Ob dies der Fall ist, haben sie nun mithilfe von Hochdruck-Experimenten in einer Diamantstempelzelle überprüft.
Für das Experiment setzten die Chemiker herkömmliches Calciumcarbid (CaC2) Drücken von bis zu 150 Gigapascal aus – dies entspricht dem Druck in rund 2.900 Kilometer Tiefe des Erdmantels. Gleichzeitig erhitzten sie das Carbid mithilfe von Lasern bis auf 3.000 Grad.
Ein Endlos-Polymer aus Sechserringen…
Das Ergebnis: Mit zunehmendem Druck wurde das Calciumcarbid erst transparent, dann dunkel und undurchsichtig. Erste Analysen enthüllten, dass bei rund 44 Gigapascal eine zuvor unbekannte Strukturform des Calciumcarbids entstanden war – eine Art Polymer aus Kohlenstoffringen. „Diese polymerisierten Kohlenstoffatome bilden unendliche Nanostreifen aus planaren, miteinander verbundenen sechsteiligen Ringen“, berichten Khandarkhaeva und ihr Team.
Diese „Nanoribbons“ aus sechsatomigen Kohlenstoffringen wechseln sich im Hochdruck-Carbid mit Schichten aus Calciumatomen ab. Berechnungen der Elektronendichte in dieser exotischen neuen Strukturform legen zudem nahe, dass die Kohlenstoffatome untereinander mit starken kovalenten Bindungen verknüpft sind, mit den Calciumatomen dagegen über Ionenbindungen. Insgesamt verhält sich das Hochdruck-Carbid jedoch wie ein Metall, so die Chemiker.
…und eine einzigartige und unerwartete Struktur
Doch das war noch nicht alles: Das Team entdeckte in ihren Hochdruck-Proben ein zweites neuartiges Carbid (Ca3C7). In ihm bilden die Kohlenstoffatome polymere, nichtplanare Ketten aus schiefen fünf- und sechsatomigen Ringen, zwischen denen die Calciumatome liegen. Anders als beim ersten Carbid-Polymer könnte es sich hier um einen Halbleiter handeln, wie das Team berichtet.
„Unseres Wissens nach wurde ein solches Polycarbid zuvor für keines der in der anorganischen Chemie bekannten Metallcarbide vorhergesagt oder nachgewiesen“, schreiben die Chemiker. Diese Struktur sei bisher einzigartig. Beide Hochdruck- Carbidvarianten zeigen mit ihren polymerisierten Ringen eine Struktur, die sonst nur aus der organischen Chemie bekannt war.
Grenzen der Kohlenstoffchemie erweitert
„Unsere Ergebnisse erweitern die Grenzen der bekannten Kohlenstoffchemie“, sagt Seniorautor Leonid Dubrovinsky von der Universität Bayreuth. Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen diesen Hochdruckkarbiden und ihre Wasserstoffatome beraubten metallorganischen Verbindungen könnten auf Materialien mit einzigartigen elektronischen, magnetischen und optischen Eigenschaften hindeuten.
Gleichzeitig liefern die neuen Hochdruck-Moleküle auch wertvolle Informationen darüber, wie sich Kohlenstoff unter extremen Bedingungen verhält. „Sie bieten damit eine neue Perspektive darauf, wie komplexe Kohlenstoffstrukturen in der Tiefe der Erde und möglicherweise in anderen planetarischen Körpern existieren könnten“, erklärt Dubrovinsky.
Im Weltall könnten aus solchen Polycarbiden zudem polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) entstehen. Solche Moleküle haben Astronomen beispielsweise in kalten Molekülwolken und fernen Galaxien nachgewiesen. Möglicherweise entstanden sie und weitere, auch für die Lebensentstehung wichtige organischen Moleküle sogar ursprünglich aus Polycarbiden, so die Vermutung der Wissenschaftler. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-47138-2)
Quelle: Universität Bayreuth