Mit dem Smartphone schnell an der Haltestelle den Busfahrplan prüfen, dann nochmal E-Mails checken, bevor der Bus kommt. Während der Fahrt dann das neueste Mini-Spiel testen und die Ergebnisse in drei sozialen Netzwerken teilen. So ähnlich sieht die Routine vieler Smartphone-Nutzer aus. Seit Handys immer mehr Funktionen übernehmen, wird auch die Abhängigkeit von den Geräten immer häufiger diskutiert. Mit einer neuen App sollen Nutzer mit Hilfe von Informatikern und Psychologen ihren Umgang mit dem Mobiltelefon messen können.
Die neue App namens Menthal ist Teil eines größeren Forschungsvorhabens zur Untersuchung des Smartphone-Gebrauchs. Die meisten existierenden Studien verlassen sich dazu bis jetzt auf Selbsteinschätzungen der Nutzer. Diese Angaben sind aber unzuverlässig. Informatiker und Psychologen der Universität Bonn haben daher in Zusammenarbeit das neue Mini-Programm entwickelt, um zuverlässige Informationen sammeln zu können. „Menthal liefert zum ersten Mal belastbare Daten“, betont Alexander Markowetz, Juniorprofessor für Informatik an der Universität Bonn. „Die App kann uns detailliert zeigen, wie der durchschnittliche Mobiltelefonkonsum pro Tag ausfällt.“
Waage für digitale Diät
Wer Menthal installiert, kann damit etwa sehen, wie viel Zeit er täglich mit dem Telefon verbringt und welche Anwendungen er am häufigsten verwendet. Die wichtigsten Kerndaten werden anonymisiert an einen Server übermittelt, wo die Wissenschaftler sie auswerten. Die App erfordert das Betriebssystem Android 4.0 oder höher. Sie kann kostenlos aus dem Google Playstore oder unter www.menthal.org heruntergeladen werden. „Wenn Sie eine digitale Diät machen wollen, dann stellen wir Ihnen dazu die Waage zur Verfügung“, sagt Markowetz.
In einer bislang unveröffentlichten Studie haben die Forscher mit Menthal das Telefonverhalten von 50 Studenten über einen Zeitraum von sechs Wochen untersucht. „Die Ergebnisse waren zum Teil erschreckend“, kommentiert Christian Montag, Privatdozent für Psychologie an der Bonner Universität. So nutzte ein Viertel der Probanden sein Telefon mehr als zwei Stunden pro Tag. Im Schnitt aktivierten die Studienteilnehmer 80 Mal täglich ihr Telefon – tagsüber durchschnittlich alle zwölf Minuten. Bei einigen Probanden fielen diese Zahlen gar doppelt so hoch aus.
Der typische Nutzer telefonierte lediglich acht Minuten am Tag und schrieb 2,8 SMS. Der Hauptnutzen des Telefons lag dennoch in der Kommunikation: Mehr als die Hälfte der Zeit nutzten die Probanden Messenger oder tummelten sich in Sozialen Netzwerken. Alleine What’sApp schlug mit 15 Prozent der Nutzungszeit zu Buche, Facebook mit neun Prozent. Spiele brachten es auf 13 Prozent, wobei einige Probanden mehrere Stunden am Tag spielten.
Wie viel Mobiltelefon-Konsum ist normal?
Das Hauptinteresse der Bonner Forscher gilt dem problematischen Gebrauch. „Wir wollen wissen, wie viel Mobiltelefon-Konsum normal ist und ab wann von einem Zuviel zu sprechen ist“, erläutert Christian Montag. Das Nutzen eines Smartphones ähnele dem Umgang mit einem Glücksspielautomaten – deswegen werde das Telefon so oft angeschaltet. Bei dieser möglichen neuen Sucht handele es sich noch nicht um eine offiziell anerkannte Erkrankung.
„Dennoch wissen wir, dass der Umgang mit dem Mobiltelefon suchtähnliche Symptome hervorrufen kann“, betont Montag. Ein übermäßiger Konsum kann zur Vernachlässigung von wichtigen täglichen Aufgaben oder des direkten sozialen Umfelds führen. „Bei Nichtnutzung kann es sogar zu regelrechten Entzugserscheinungen kommen.“
Smartphone als Depressions-Detektor
Die Menthal-App entstand im Rahmen einer breiteren Initiative, Methoden der Informatik in die Psycho-Wissenschaften zu tragen – die Wissenschaftler sprechen auch vom neuen Forschungsfeld der Psycho-Informatik. „Es ist beispielsweise denkbar, Handydaten dazu zu nutzen, um Schwere und Verlauf einer Depression zu messen“, erläutert Montag.
Depressionen äußern sich unter anderem in sozialem Rückzug und der Unfähigkeit, sich an Aktivitäten zu erfreuen. „Wir vermuten, dass sich während einer depressiven Phase die Handy-Nutzung messbar ändert“, erläutert Psychiater Thomas Schläpfer vom Bonner Universitätsklinikum. „Der Kranke ruft dann beispielsweise weniger oft an und geht seltener vor die Tür – eine Verhaltensänderung, die Smartphones dank GPS ebenfalls registrieren können.“ Ein Psychiater könnte das Mobiltelefon seiner Patienten also als Diagnose-Instrument nutzen und gegebenenfalls frühzeitig gegensteuern.
„Das geht natürlich nur unter strikter Beachtung des Datenschutzes und nach Einwilligung der Erkrankten“, betont Markowetz. Überhaupt sei die Einhaltung strenger Datenschutz-Regelungen bei der Auswertung derartiger Daten immens wichtig. Die beteiligten Forscher gehen in ihrer Veröffentlichung explizit auf die daten-ethischen Aspekte ihrer Arbeit ein. Mit der ärztlichen Schweigepflicht existiere eine bewährte Methode für den Umgang mit Informationen, die strikt auf die erhobenen Daten angewendet werde.
(Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 16.01.2014 – AKR)