Seit 50 Jahren gesucht: Lange war strittig, ob es ein Teilchen aus vier Neutronen überhaupt geben kann – jetzt könnten Physiker dieses Tetraneutron nachgewiesen haben. Indiz dafür lieferte die Kollision von Lithium-7-Isotopen, bei denen ein verräterischer „Buckel“ in den Messwerten auf die Bildung von Tetraneutronen hindeutete. Zusammen mit Hinweisen aus zwei anderen Experimenten macht dies die Existenz des „unmöglichen“ Teilchens immer wahrscheinlicher.
Neutronen bilden gemeinsam mit den positiv geladenen Protonen die Grundbausteine aller Materie- aus ihnen besteht der Atomkern. Beide Kernbausteine werden von der starken Kernkraft zusammengehalten und können sich ineinander umwandeln. So zerfallen von radioaktiven Elementen freigesetzte Neutronen nach knapp 15 Minuten in Protonen, dagegen sollen unter den extremen Bedingungen im Inneren eines Neutronensterns gängiger Theorie nach Protonen in Neutronen umgewandelt werden.
Schon seit rund 50 Jahren ist aber strittig, ob es auch Teilchen gibt, die nur aus Neutronen bestehen. Der Theorie nach dürften sie nicht stabil sein, weil dies gängigen Modellen der starken Kernkraft und auch dem Pauli-Ausschlussprinzip widersprechen würde, nach dem Fermionen nicht im gleichen Zustand an derselben Stelle vorkommen können. Andererseits legt die Existenz von Neutronensternen nahe, dass es sehr wohl Objekte nur aus dicht aneinander gepackten Neutronen geben muss.
Lithium-Isotop als Erzeugungs-Helfer
Thomas Faestermann von der Technischen Universität München und seine Kollegen haben nun versucht, das umstrittene Tetraneutron in einem Experiment herzustellen und nachzuweisen. Dafür schossen sie einen Strahl stark beschleunigter Lithium-Atomkerne auf ein Ziel aus Lithiumoxid und Kohlenstoff. Der Clou dabei: In beiden Fällen handelte es sich bei den Lithium-Atomkernen um das Isotop Lithium-7, das aus drei Protonen und vier Neutronen besteht.
„Lithium-7 ist der dem Tetraneutron am nächsten stehende stabile Atomkern“, erklären die Forscher. Um daraus ein Teilchen aus vier Neutronen zu erzeugen, müsse man dem Lithium-7 nur drei Protonen entziehen. Genau dies sollte die Kollision im Tandem-Van-de-Graaff-Beschleuniger der TU München bewirken. Wenn es das Tetraneutron gibt, müssten beim Beschuss des Ziels sowohl Kohlenstoff-10-Isotope als auch Tetraneutronen entstehen.
Verräterischer Buckel in der Kurve
Tatsächlich entdeckten die Physiker in den Energien und Massen der durch die Kollisionen erzeugten Teilchen eine auffällige Signatur. Sie zeigte sich in Form eines „Buckels“ in der Kurve bei 20,8 Megaelektronenvolt. Nähere Analysen ergaben, dass dieser Peak sich mit keinem der gängigen Teilchen erklären lässt, wohl aber mit der Entstehung von Tetraneutronen und angeregten Kohlenstoff-10-Isotopen.
„Dies ist für uns die einzige physikalisch in allen Punkten plausible Erklärung der gemessenen Werte“, erläutert Faestermann. Den Messungen zufolge hat das Tetraneutron dabei eine Bindungsenergie von 0,42 Megaelektronenvolt, was gut mit theoretisch ermittelten Werten übereinstimmt. Demnach würde ein solches Teilchen aus vier Neutronen rund 450 Sekunden lang stabil bleiben, bevor es im Beta-Zerfall in Protonen und weitere Elementarteilchen zerfällt.
Indizien fürs Tetraneutron erhärten sich
Noch reicht die Signifikanz der Ergebnisse mit 99,7 Prozent oder drei Sigma nicht ganz für eine offizielle Entdeckung – dafür wären fünf Sigma nötig. Daher müssen die Messungen noch weiter präzisiert und überprüft werden. Andererseits ist dies nicht der erste Hinweis auf die Existenz der Tetraneutronen: Bereits vor rund 20 Jahren hatten französische Physiker beim Beschuss von Kohlenstoff mit Beryllium-14-Kernen Indizien für ein Teilchen aus vier Neutronen erhalten – konnten aber nicht beweisen, dass diese Neutronen miteinander verbunden waren.
2016 hat jedoch auch ein Experiment in Japan Hinweise auf das Tetraneutron erbracht. Dabei hatten Forscher Helium-4 mit Helium-8-Kernen beschossen. In den Messdaten deutete eine winzige, nur zehn Trilliardstel Sekunden dauernde Pause darauf hin, dass dabei vier gebundene statt einzelne Neutronen freigesetzt worden sein könnten. Zusammengenommen erhärten diese Experimente die Vermutung, dass das lange gesuchte Tetraneutron tatsächlich existiert. (Physics Letters B, 2021; doi: 10.1016/j.physletb.2021.136799)
Quelle: Technische Universität München