Atomarer Elektronen-Entzug: Chemiker haben eine neuartige Molekülform des Kohlenstoffs erzeugt und nachgewiesen – das doppelt oxidierte Carben. In diesem exotischen Molekül verletzt das zentrale Kohlenstoffatom nicht nur die Oktettregel chemischer Bindungen, ihm wurden auch zwei weitere, nicht bindende Elektronen geraubt. Ähnlich wie schon die Carbene könnte sich diese neue Stoffklasse als nützlich für Chemie und Materialforschung erweisen, wie das Team in „Nature“ berichtet.
Das Periodensystem der Elemente und ihre chemischen Bindungen sind von festen Regeln geprägt. Diese bestimmen unter anderem, welche Elemente miteinander Moleküle bilden und auf welche Weise. So streben gemäß der Oktettregel die Hauptgruppenelemente der zweiten Periode, darunter Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Fluor, eine mit acht Elektronen gefüllte äußere Elektronenschale an. Dadurch geht Kohlenstoff, der vier Außenelektronen besitzt, bevorzugt vier kovalente Bindungen ein – zusammen mit den vier Valenzelektronen des Partners ergibt dies die angestrebten acht Elektronen.
Kohlenstoff bricht die Oktettregel
Doch die Oktettregel kann auch gebrochen werden, wie die erste Synthese stabiler Carbene im Jahr 1991 belegte. In diesen Verbindungen zwingen Bindungspartner den Kohlenstoff dazu, nur zwei statt der angestrebten vier Bindungen einzugehen. Dadurch bleiben zwei seiner Außenelektronen ungebunden. Heute spielen diese der Oktettregel widersprechenden Carbene eine wichtige Rolle für organische LEDs und Solarzellen, aber auch als Katalysatoren in der chemisch- pharmazeutischen Industrie.
Das wirft die Frage auf, ob sich der Kohlenstoff vielleicht sogar noch weiter manipulieren lässt: „Können wir noch weiter von der Oktettregel abweichen, in dem wir eine oder zwei der nichtbindenden Elektronen vom zentralen Kohlenstoffatome des Carbens entfernen?“, fragten sich Ying Kai Loh von der University of California in San Diego und seine Kollegen. Schon in den letzten Jahren hatten sie diese Moleküle quantenchemisch vorhergesagt, doch ob sich solche doppelt-oxidierten Carbene auch praktisch herstellen lassen, blieb unklar.