Physik

Neuer Materiezustand im Supraleiter

Verbund aus vier Elektronen erzeugt zuvor unbekannten Aggregatzustand

Elektronen
Kondensate aus jeweils vier Elektronen erzeugen einen ganz neuen Aggregatzustand in bestimmten Supraleitern. © Pixelwg, Jörg Bandmann/ ct.qmat

Überraschende Entdeckung: In einem Supraleiter haben Physiker einen zuvor unbekannten Materiezustand entdeckt. Dabei entstanden Cluster aus jeweils vier gemeinsam agierenden Elektronen – normalerweise bilden sich beim Übergang zur Supraleitung nur Elektronenpaare. Dieser „bosonische Metallzustand“ eröffnet ganz neue Einblicke in die physikalischen Mechanismen der Supraleitung und könnte neue Anwendungen hervorbringen, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Physics“ berichten.

In einem Supraleiter können sich Elektronen nahezu ohne Widerstand bewegen. Gängiger Theorie nach liegt dies daran, dass die Elektronen im Kristallgerüst dieser Materialien bei ausreichend tiefen Temperaturen einen Zustandswechsel durchlaufen: Obwohl sie normalerweise Einzelgänger sind, bilden sie nun sogenannte Cooper-Paare. Diese reagieren wie eine Superflüssigkeit und können sich ohne Reibungsverluste bewegen – das Material wird supraleitend.

Vier Elektronen statt zwei

Doch in manchen Supraleitern gibt es mehr als nur Paare, wie nun Vadim Grinenko von der Technischen Universität Dresden und seine Kollegen entdeckt haben. Für ihre Studie hatten sie das Verhalten eines Hochtemperatur-Supraleiters aus der Klasse der geschichteten Eisenpniktide untersucht. Diese erst 2008 entdeckten Materialien bestehen aus Verbindungen von Eisen und weiteren Metallen mit Elementen der Stickstoffgruppe.

Als die Forscher in ihrem Experiment das supraleitende Metall Ba1-xKxFe2As2 langsam abkühlten und dabei die thermischen und elektromagnetischen Eigenschaften maßen, entdeckten sie Überraschendes: Bei einer bestimmten Temperatur erfolgte der Übergang in einen Zustand, in dem nicht zwei, sondern gleich vier Elektronen im Verbund agierten.

Neuer Aggregatzustand von Supraleitern

Diese Beobachtung war so unerwartet, dass die Wissenschaftler ihr zunächst nicht trauten: „Als wir entdeckt haben, dass plötzlich vier statt bisher zwei Elektronen eine Verbindung eingehen, glaubten wir zuerst an einen Messfehler“, sagt Projektleiter Henning Klauss von der TU Dresden. „Aber mit je mehr Methoden wir gemessen haben, desto klarer wurde uns, dass es sich um ein neues Phänomen handeln musste: Alle Nachprüfungen kamen zum gleichen Ergebnis.“

Damit haben die Physiker den ersten experimentellen Nachweis für ein Phänomen erbracht, das einige Modelle schon vor rund zehn Jahren vorhergesagt hatten. Demnach kann in bestimmten supraleitenden Materialien ein sogenannter bosonischer Metallzustand entstehen, bei dem es statt zu den bekannten Cooper-Paaren zu einer Verkopplung von vier Elektronen kommt. „Jetzt wissen wir, dass durch die vierteilige Elektronen-Familie in bestimmten Metallen bei ultratiefer Kühlung ein ganz neuer Aggregatzustand entsteht“, sagt Klauss.

Neue Einblicke und Anwendungen

Nach Ansicht der Wissenschaftler stellt diese Entdeckung nicht nur einen Meilenstein für die Materialforschung dar, sie könnte auch ganz neue Einblicke ermöglichen. „Man kann davon ausgehen, dass unsere Ergebnisse zu einer ganz neuen Forschungsrichtung führen, in der zum Beispiel nach anderen Metallen mit vier zusammenhängenden Elektronen gesucht wird oder man erforscht, wie Materialien verändert werden müssen, damit eine Elektronen-Familie entsteht“, erklärt Klauss.

Auch Anwendungen wären denkbar: „Rein theoretisch wäre mit unserer Elektronen-Familie auch eine ganz neue Art von Supraleitung möglich, aber das ist Zukunftsmusik. Sicher ist nur, dass sich Eisenpniktide durch den neuen Aggregatzustand gut für Technologien wie Quantensensoren eignen“, sagt Klauss. Wozu das künftig führt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.“ (Nature Physics, 2021; doi: 10.1038/s41567-021-01350-9)

Quelle: Technische Universität Dresden

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