Zufallsfund im Kristall: Forscher haben bei Modellversuchen eine neue Art von Quasiteilchen entdeckt. Das sogenannte Pi-ton entsteht in durch Licht angeregten Feststoffen und besteht aus zwei Elektronen und zwei Leerstellen im Kristallgitter. Modellversuche legen nahe, dass diese exotischen Bindungszustände in verschiedenen festen Materialien vorkommen könnten. Ein experimenteller Nachweis steht allerdings noch aus.
Die „Familie“ der bekannten Elementarteilchen umfasst neben den Bausteinen der Materie – Protonen, Neutronen und Elektronen – noch eine ganze Reihe anderer, teils exotischer Teilchen – von den fast masselosen Neutrinos bis zum berühmten Higgs-Boson. Doch zusätzlich gibt es noch sogenannte Quasiteilchen – exotische, oft kurzlebige Zustände, bei denen mehrere Teilchen oder Leerstellen in einem Kristallgitter verkoppelt sind.
Vom Loch zum komplexen Quasiteilchen
„Das einfachste Quasiteilchen ist ein Loch“, erklärt Seniorautor Karsten Held von der Technischen Universität Wien. Diese Löcher können beispielsweise entstehen, wenn in einem Kristallgitter an einem Atom ein Elektron fehlt. Es entsteht eine Lücke mit positiver Ladung, die sich durch das Gitter bewegen kann. Das Verhalten einer solchen Leerstelle folgt dabei ähnlichen physikalischen Regeln wie ein normales Teilchen. Im Unterschied zu diesen kann ein Quasiteilchen aber nicht isoliert existieren.
Dies gilt auch für komplexere Quasiteilchen wie die Exzitonen. Diese für Halbleiter typischen Quasiteilchen bestehen aus einem Elektron und einem Loch, die durch die Anregung mit Licht eine Bindung eingehen. „Solche Exzitonen wollten wir eigentlich untersuchen“, sagt Erstautorin Anna Kauch von der TU Wien. „Wir entwickelten Computersimulationen, mit denen man Effekte in Festkörpern quantenphysikalisch genau berechnen kann.“
Zufallsfund im Feststoff-Modell
Doch zum Erstaunen der Forscher stießen sie bei ihren Berechnungen immer wieder auf ein ganz neues Phänomen: ein neuartiges Quasiteilchen. Dieses besteht aus zwei Elektronen und zwei Löchern, die miteinander verknüpft sind. Diese exotischen Gebilde entstehen spontan, wenn ein Feststoff durch Licht angeregt wird und ein Photon absorbiert wird. Gibt das Quasiteilchen das Photon wieder ab, verschwindet es.
Die Physiker tauften dieses neuartige Quasiteilchen Pi-ton – nach der berühmten Kreiszahl Pi. „Der Name Pi-ton kommt daher, dass die zwei Elektronen und zwei Löcher durch Ladungsdichte-Fluktuationen oder Spin-Fluktuationen zusammengehalten werden, die von einem Gitterpunkt des Kristalls zum nächsten ihren Charakter immer um 180 Grad umkehren“, erklärt Kauch. Der Wellenvektor dieser Gebilde kommt damit Pi nahe.
„Es zeigt sich immer wieder“
Bisher haben die Wissenschaftler das neue Pi-ton nur am Computer nachgewiesen. Dennoch besteht für sie kein Zweifel daran, dass dieses Quasiteilchen existiert. „Wir haben das Phänomen des Pi-tons mittlerweile mit unterschiedlichen Modellen untersucht – es zeigt sich immer wieder“, betont Held. “ Insofern sollte es auf jeden Fall in unterschiedlichen Materialien nachweisbar sein.“ Tatsächlich gibt es schon erste Indizien dafür: „Einige experimentelle Daten, die mit dem Material Samarium-Titanat gewonnen wurden, scheinen bereits auf das Pi-ton hinzudeuten“, sagt Held.
Schon jetzt aber gibt die Entdeckung dieser Quasiteilchen neue Einblicke in die Wechselwirkungen von Licht und Materie – und damit der fundamentalen Prozesse, die in vielen technischen Anwendungen eine wichtige Rolle spielen – von der Halbleitertechnologie bis zur Photovoltaik. (Quelle: Physical Review Letters, 2020; doi: 10.1103/PhysRevLett.124.047401)
Quelle: Technische Universität Wien