Schon seit längerem gehen Physiker davon aus, dass Atomkerne nicht immer rund sind, sondern auch eine exotischere Form annehmen können: die einer Birne. Diesen Zustand hat jetzt ein internationales Forscherteam erstmals experimentell nachgewiesen. In einem Teilchenbeschleuniger erzeugten sie kurzlebige Radium-Isotope, deren Kerne bei Anregung tatsächlich eine Birnenform annahmen. Dieser Nachweis trage nun auch dazu bei, die im Atomkern wirkende starke Kernkraft besser zu verstehen, berichten sie im Fachmagazin „Science“.
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Der Atomkern gleicht einer Ansammlung von Murmeln, die durch eine starke Anziehungskraft zwischen ihnen eng zusammengehalten werden. Die starke Kernkraft, eine der vier Grundkräfte der Natur, sorgt dafür, dass die ungeladenen Neutronen und die positiv geladenen Protonen zusammenbleiben, obwohl sich gleiche Ladungen normalerweise abstoßen. „Welche Form der Atomkern hat, wird bestimmt durch die Zahl der Kernteilchen und die Wechselwirkungen zwischen ihnen“, erklären Peter Butler von der University of Liverpool und seine Kollegen. Entsprechend komplex seien die Kräfteverhältnisse in einem solchen Vielkörper-Quantensystem.
Rund, elliptisch – und birnenförmig
Unter normalen Bedingungen ist der Kern meist kugelförmig. Das ändert sich jedoch, wenn das Atom durch Energiezufuhr von außen angeregt wird oder wenn es zusätzliche Neutronen erhält. Dann können die veränderten Kräftebeziehungen zwischen den Kernteilchen den Kern in eine längliche, einem Rugbyball ähnliche Form bringen – in der Fachsprache Quadrupol-Deformation genannt. „Für bestimmte Kombinationen von Protonen und Neutronen gibt es aber auch die theoretische Annahme, dass der Kern eine sogenannte Octupol-Anordnung einnehmen kann“, so die Forscher. Sie ist durch eine asymmetrische, an einem Ende ausgebeulte Birnenform gekennzeichnet. Dass solche Birnen-Atomkerne tatsächlich existieren, hat das Experiment von Butler und seinen Kollegen nun nachgewiesen.
Für ihr Experiment erzeugten die Forscher zunächst die Sorte von Atomkernen, die der Theorie nach am ehesten eine Birnenform bilden müssten. In diesem Fall handelte es sich um sehr kurzlebige Isotope der Elemente Radon und Radium, die sie in einem speziellen Teilchenbeschleuniger – der sogenannten REX-ISOLDE-Anlage – am Kernforschungszentrum CERN bei Genf produzierten. Diese Atomkerne wurden dann stark beschleunigt und auf Ziele aus Nickel, Kadmium und Zinn geschossen. Der Aufprall brachte die Atomkerne in einen angeregten Zustand, bei dem sie Gammastrahlen aussendeten. Aus dem Muster dieser Gammastrahlen konnten die Forscher erkennen, welche Form die Atomkerne innehatten.
Radium-Kern in Birnenform
Das Ergebnis: „Unsere Daten zu den Isotopen Radon-220 und Radium-224 zeigen klare Belege für eine Octupol-Deformation beim Radium“, berichten Butler und seine Kollegen. Mit anderen Worten: Die Atomkerne des Radium-Isotops waren zumindest kurzzeitig birnenförmig. Dieses Ergebnis trage nun dazu bei, die verschiedenen Theorien dazu, wie solche Octupol-Zustände entstehen, zu bewerten. Einige würden durch die Daten widerlegt, andere präzisiert.
Aber die neuen Daten helfen auch dabei, fundamentalere Fragen der Physik zu klären, wie die Forscher erklären. Denn sie können nun mit Ergebnissen anderer Experimente kombiniert werden, die das Standardmodell der Physik und speziell die Natur der starken Kernkraft anhand atomarer Eigenschaften untersuchen. (Nature, 2013; doi: 10.1038/nature12073)
(Nature / University of Michigan, 10.05.2013 – NPO)