Exotische Bindung: Physiker haben erstmals sogenannte „Trilobiten“-Moleküle direkt beobachtet – exotische Atomverbindungen, die ein Interferenzmuster ähnlich einem Trilobitenpanzer erzeugen. Sie entstehen, wenn ein aufgeblähtes Rydberg-Atom ein zweites Atom in sich aufnimmt. Beide Atome sind dann über eine sonst nirgendwo beobachtete Bindungsform verknüpft. Dem Team gelang es mithilfe einer speziellen Methode, solche Rydberg-Moleküle erstmals direkt zu vermessen und mit theoretischen Modellen zu vergleichen.
Normalerweise haben Atome je nach Element einen festen Radius. Im Grundzustand der Atome wird er von den Orbitalen der um den Atomkern kreisenden Elektronen bestimmt. Wenn man jedoch ultrakalte Atome durch gezielte Energiezugabe auf bestimmte Weise anregt, können exotische Riesenatome entstehen. Bei diesen Rydberg-Atomen wird das äußerste Elektron auf extremen Abstand zum Atomkern gebracht, wodurch der Atomradius auf das mehr als Tausendfache aufgebläht wird.
„Der Bahnradius des Elektrons kann mehr als ein Mikrometer betragen, damit ist die Elektronenwolke größer als ein kleines Bakterium“, erklärt Seniorautor Herwig Ott von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.
Moleküle aus Riesenatomen
Doch das ist noch nicht alles: Die riesigen Rydberg-Atome können auch eine exotische Art von Molekül bilden – indem sie andere Atome einfach in sich aufnehmen. Dabei entstehen Wechselwirkungen zwischen dem äußeren Elektron des Rydberg-Atoms und dem „eingefangenen“ Atom, durch die dieses Atom quantenmechanisch gebunden wird. Dabei entstehen exotische Moleküle, deren Bindungstyp sich völlig von den gängigen chemischen Bindungen durch kovalente, ionische oder metallische Bindung unterscheidet.
„Es ist die quantenmechanische Streuung des Rydberg-Elektrons an dem Atom, die die beiden zusammenklebt“, sagt Otts Kollege Max Althön, Erstautor der Studie. Durch diese Interaktion entsteht ein Interferenzmuster, das einem Schmetterling oder dem segmentierten Panzer eines Trilobiten ähnelt. Solche Trilobiten-Moleküle bieten die Chance, fundamentale Wechselwirkungen zwischen Atomen zu untersuchen, gelten aber auch als vielversprechende Plattform für quantenphysikalische Experimente.
Trilobiten-Moleküle erzeugt und beobachtet
Das Problem jedoch: Mit gängigen Methoden ließen sich die Trilobiten-Moleküle schwer direkt beobachten – bis jetzt. Althön und sein Team haben eine Methode entwickelt, mit der sie erstmals die Schwingungszustände, das Dipolmoment und weitere Parameter in einem solchen Trilobiten-Molekül beobachten und messen konnten. Ausgangspunkt dafür war eine Wolke von bis auf rund 0,0001 Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlter Rubidiumatome, von denen einige mittels Laseranregung zu Rydberg-Atomen gemacht wurden.
Mithilfe einer speziellen Kombination von Laserpulsen erzeugten die Physiker anschließend Trilobiten-Moleküle, indem jeweils ein neutrales Fremdatom von einem Rydberg-Atom „geschluckt“ und gebunden wurde. Durch weitere Laserpulse und spezielle Spektrometer konnte das Team den Aufbau und die quantenphysikalischen Parameter der Trilobiten-Moleküle ermitteln.
Extremes Dipolmoment – und Abweichungen von der Theorie
Die Analysen bestätigten, dass die Schwingungszustände im Rydberg-Molekül der charakteristischen Form eines Trilobitenpanzers entsprachen. „Das molekulare Potential der Trilobitenkurve ist dabei proportional zu den entsprechenden Streuungslängen“, berichten Althön und sein Team. Die Bindungslänge zwischen den beiden Atomen des Moleküls ist dabei so groß wie der Rydberg-Orbit – viel größer als bei jedem anderen zweiatomigen Molekül.
„Eine weitere Eigenheit der Trilobiten-Moleküle ist ihr großes elektrisches Dipolmoment“, erläutert das Team. Weil das zweite Atom das äußere Rydberg-Elektron so stark anzieht, entsteht ein extremes Ladungsgefälle innerhalb des Moleküls. Wie die Messungen ergaben, liegt dieses Dipolmoment im Trilobiten-Molekül bei bis zu 1.700 Debye – und ist damit extrem groß. „Experiment und Theorie zeigen dabei eine gute Übereinstimmung, allerdings sind die experimentell bestimmten Dipolmomente zehn bis 15 Prozent größer als die theoretischen Werte“, berichten die Physiker.
Worauf diese Abweichung beruht, ist zurzeit noch unklar. Den Forschenden zufolge könnten systematische Messungenauigkeiten dahinterstecken, es kann aber auch sein, dass die theoretischen Modelle die Bindungslänge der Rydberg-Moleküle bislang unterschätzt haben. „Hier ist weitere theoretische und experimentelle Arbeit nötig“, so Althön und seine Kollegen. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/ s41467-023-43818-7)
Quelle: Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau