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Polarstern umrundet Nordpol

Forschungsschiff nach Expedition durch Nordost- und Nordwestpassage aus der Arktis zurück

Luftaufnahmen des Eisbrechers Polarstern im Eismeer. © Alfred-Wegener-Institut

Die Polarstern hat als erstes Forschungsschiff weltweit sowohl die Nordwest- als auch die Nordostpassage durchfahren und damit einmal den Nordpol umrundet. Das Schiff legte dabei auf seiner 23. Arktisexpedition, die am 17. Oktober 2008 in Bremerhaven endete, rund 20.000 Kilometer zurück. Wegen der geringen Eisbedeckung in diesem Sommer konnten die bis zu 47 Wissenschaftler aus zwölf Nationen an Bord in bisher nicht zugänglichen Seegebieten forschen.

Zeugen großer Sedimentumlagerungen

Ziel der Reise mit dem Forschungseisbrecher war es, Daten über die Entwicklung der Arktis in der Erdgeschichte zu erheben. Über die sediment-akustische Parasound-Vermessung entdeckten die Wissenschaftler um Fahrtleiter Wilfried Jokat, Geophysiker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), beispielsweise große Rutschmassen dicht unter dem Meeresboden auf dem ostsibirischen Kontinentalrand.

„Rutschmassen sind Zeugen großer Sedimentumlagerungen, die zum Beispiel dann auftreten, wenn enorm viele neue Sedimente abgelagert werden“, so Jokat. Der Kontinentalhang wird dann instabil und Sedimente rutschen hinab. Eine solch große Masse von Sedimenten, die Rutschungen hervorruft, kann nur einen Ursprung haben: Die Sedimente waren in Eismassen auf dem Ostsibirischen Festland eingefroren, sie sind während einer Warmzeit aufgetaut und haben ihre Sedimentfracht mit dem Schmelzwasser ins Meer gespült.

„Dies ist ein spektakulärer Befund, da großräumige Vereisungen in Ostsibirien bisher für die jüngere geologische Geschichte, also 60.000 Jahre und älter, nicht bekannt waren“, erklärt Professor Rüdiger Stein, Geologe am AWI. Ergänzende seismische Daten zeigen, dass das ostsibirische Schelf in den letzten drei Millionen Jahren nur während weniger Eiszeiten von einem Eisschild bedeckt war.

Das Kastenlot ist geöffnet, mit Hilfe der "Blumenkästen" wird das Sediment entnommen und das überflüssige Sediment wird beseitigt, Rüdiger Stein (links) und Sebastian Eckert (vorne rechts). © David Poggemann / Alfred-Wegener-Institut

Vereisungsgeschichte von Nordamerika und Sibirien vergleichen

Um diesen Befund abzusichern und insbesondere die geschilderten Ereignisse zeitlich einstufen zu können, sind nach Angaben der Wissenschaftler weitergehende Untersuchungen erforderlich. Material dafür haben sie in Form von Sedimentkernen mit nach Bremerhaven gebracht. Vom Kanada- Becken über den Mendelejew-Rücken bis ins Makarow-Becken konnten auf einer Strecke von über 700 Kilometern 16 Bodenproben genommen werden.

Ihre Analyse wird es erstmals erlauben, die Vereisungsgeschichte in Nordamerika mit der von Sibirien detailliert zu vergleichen und Unterschiede beziehungsweise Parallelen herauszuarbeiten. Weiterhin können die Sedimentkerndaten Informationen über die zeitliche und räumliche Änderung der Meeresströmungen und der Meereisausdehnung im zentralen Arktischen Ozean liefern. „Aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen erwarten wir wichtige neue Erkenntnisse zu den Steuerungsprozessen lang- und kurzfristiger Klimaänderungen in der Arktis“, freut sich Stein.

Geologische Entwicklung des Arktischen Ozeans enträtselt

Ein weiterer Schwerpunkt der Polarstern-Ausfahrt lag auf der geologischen Entwicklung des Arktischen Ozeans in den letzten 90 Millionen Jahren. Die Seismik, eine akustische Messmethode, erlaubte einen Blick in die Schichten unter dem Meeresboden bis in 4.000 Meter Tiefe.

„Die erhobenen Daten zeigen, dass das Meeresbecken zwischen den beiden großen arktischen Rückensystemen, dem Lomonossow- und dem Mendelejew-Rücken, wesentlich älter ist als bisher vermutet. Damit sind die Becken im alten Teil des Arktischen Ozeans, Makarow- und Kanada-Becken, nahezu zeitgleich entstanden“, berichtet Jokat. „Die nachfolgende Abtrennung des Lomonossow-Rückens vom sibirischen Schelf vor etwa 60 Millionen Jahren ist nicht ohne massive Umweltveränderungen vonstatten gegangen. Die Daten zeigen Hinweise auf starke Umlagerungsprozesse in den Tiefseesedimenten“, so der Geophysiker weiter.

In dieser geologischen Phase sind nach Ansicht der Forscher entweder die bodennahen Strömungen sehr stark gewesen oder der Meeresspiegel im Arktischen Ozean war erheblich niedriger als heute. „Viele Modellvorstellungen über die Entwicklung des Arktischen Ozeans müssen aufgrund der neuen Daten überdacht werden“, bilanziert Jokat.

Bootsmann, Crew und die Geophysikgruppe lassen das Luftkanonengestell zu Wasser. © Isabell Schulte-Loh, Alfred-Wegener-Institut

Wie Wassermassen im Arktischen Ozean zirkulieren

Ozeanographen erfassten während der Expedition zudem Temperatur, Dichte und Salzgehalt des Wassers regelmäßig vom Schiff aus. Zusätzlich brachten sie Bojen auf Eisschollen aus, die solche Messungen über ein bis zwei Jahre autonom durchführen. Die Wissenschaftler können somit besser verstehen, wie die Wassermassen im Arktischen Ozean zirkulieren. Eingeordnet in eine Langzeitreihe können sie Änderungen der Wassertemperatur und der Meereisbedeckung auch im Hinblick auf den Klimawandel beschreiben.

Biologen an Bord untersuchten darüber hinaus Vorkommen und Verbreitung der Ruderfußkrebsart Oithona similis im Arktischen Ozean. Dieser kleine Krebs ist ein wichtiger Bestandteil des Nahrungsnetzes. Er ernährt sich unter anderem von kleinen Algen und Tieren und dient seinerseits Fischlarven als Nahrung. Ein weiteres biologisches Programm hatte zum Ziel, die Verteilung von Vögeln, Robben, Walen und Eisbären entlang der Fahrtroute zu erfassen. Eine nahezu kontinuierliche Vermessung des Meeresbodens und ein Wasserbeprobungsprogramm rundeten das interdisziplinäre wissenschaftliche Programm ab.

Die Messungen tragen zur Forschung innerhalb des Internationalen Polarjahres, des europäischen Projekts DAMOCLES und des Projekts „Nordatlantik“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bei.

(idw – Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 24.10.2008 – DLO)

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