Bildung

Pseudo-Fachjournale auf dem Vormarsch

Mehr als 5.000 deutsche Forscher haben schon in "Predatory Journals" publiziert

Profit statt Peer-Review: Predatory Journals untergraben die Qualitätssicherung der Wissenschaft © Maksim Koval /iStock.com

Vorgegaukelte Seriosität: Immer mehr Wissenschaftler gehen pseudowissenschaftlichen Fachjournalen auf den Leim – mindestens 400.000 sollen betroffen sein, 5.000 davon in Deutschland. Das enthüllen nun Recherchen eines Journalistenkollektivs. Das Problem: Weil diese sogenannten „Predatory Journals“ nur auf Geld aus sind und keine Qualitätskontrolle mittels Peer-Review durchführen, unterlaufen sie Kontrollsysteme der Wissenschaft – und bringen sie so in Verruf.

Publikationen in Fachjournalen sind heute die „Währung“ der Wissenschaft. Denn ihre Menge gilt meist als Messlatte für die Leistungen eines Forschers – und ist oft Voraussetzung für eine gute Stelle. Um die Qualität der Veröffentlichungen zu sichern, nutzen die Fachmagazine das System der Peer-Review: Externe Gutachter – meist Forscher aus dem gleichen Fachgebiet – prüfen und bewerten die eingereichten Manuskripte – und lehnen sie im Zweifelsfalle ab. Je renommierter das Magazin ist, desto strenger sind dabei die Kriterien.

Allerdings: Dieses System der wissenschaftlichen Selbstkontrolle ist nicht unfehlbar. Es kann bewusst unterlaufen werden, wie 2015 zahlreiche Fälle von Betrug bei der Peer-Review demonstrierten.

Das Phänomen der „Predatory Journals“

Zudem gibt es Verlage und Journale, die zwar eine Peer-Review zusagen, diese aber nicht durchführen – aus Profitgier. Diese „Predatory Journals“ erscheinen meist digital und als Open-Access – der Zugriff auf die Fachpublikationen ist frei. Ihr Geld verdienen die Verlage, indem sie die Wissenschaftler für die Publikation ihres Artikels zahlen lassen. Je mehr Publikationen erscheinen, desto mehr Geld macht demnach das „Raubmagazin“.

Eine echte Peer-Review wäre da nur hinderlich. Dadurch aber werden selbst fachlich falsche oder sogar absurde Fachartikel veröffentlicht und bekommen den Anschein der Seriosität. Wie weit dies geht, demonstrierte erst im letzten Jahr ein Experiment mit einer offensichtlich gefakten Studie über „Midichlorianer“ – die komplett fiktiven Macht“-Geber aus Star Wars.

Das Problem: Diese schwarzen Schafe untergraben den Ruf auch seriöser Fachmagazine und des gesamten Systems der Peer-Review. In Zeiten von Fake-News und Wissenschafts-Skepsis ist dies besonders prekär.

5.000 Wissenschaftler in Deutschland betroffen

Wie stark solche Predatory Journals inzwischen verbreitet sind und wie viele Forscherinnen und Forscher in ihnen publiziert haben, hat nun ein Team von Journalisten von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung Magazin recherchiert. Sie werteten dafür 175.000 Publikationen von fünf Plattformen bekannter „Raubverlage“ aus.

Nicht alle Fachjournale sind wirklich seriös - inzwischen werden sogenannte "Predatory Journals" immer häufiger. © bernie/ iStock.com

Das Ergebnis: Weltweit haben schon rund 400.000 Forscherinnen und Forscher in Predatory Journals veröffentlicht. In Deutschland sollen rund 5.000 Wissenschaftler betroffen sein. Die Zahl solcher Publikationen hat sich demnach allein bei den fünf größten Raub-Plattformen seit 2013 weltweit verdreifacht, in Deutschland sogar verfünffacht, wie die Recherchen ergaben. Sollte sich dies bestätigen, dann hätten rund 1,3 Prozent aller Wissenschaftler an deutschen Unis und Forschungseinrichtungen schon einmal in einem solchen Raubmagazin publiziert.

Meist unwissentlich – aber nicht nur

Allerdings: In den meisten Fällen dürfte dies unwissentlich geschehen sein. Denn ob es sich um ein Pseudo-Fachjournal handelt, ist oft nicht zu erkennen. So legen diese sich häufig Namen zu, die denen seriöser Magazine zum Verwechseln ähnlich sind, zum Beispiel „Journal of Molecular Biology and Techniques“ statt „Journal of Molecular Biology“. Auch die Internetauftritte und Beschreibungen erscheinen auf den ersten Blick seriös. Häufig finden sich dort zudem falsche Angaben zum Ranking der Journale.

Doch den aktuellen Recherchen nach gibt es auch Fälle, in denen Wissenschaftler offenbar gezielt die Dienste solcher Verlage genutzt haben. Die Motivation dafür kann das schnelle Ansammeln von möglichst vielen Publikationen sein, um seine Karriere voranzubringen. Die Predatory Journals bieten aber auch die Möglichkeit, Forschungsbeiträge schnell zu veröffentlichen, ohne sich der Begutachtung stellen zu müssen. Nutznießer sind beispielsweise große deutsche Pharmaunternehmen, Skeptiker des Klimawandels, aber auch Mitarbeiter von zwölf der dreißig Dax-Unternehmen.

„Desaster für die Wissenschaft“

Deutsche Forschungsgesellschaften und Hochschulen zeigten sich alarmiert über das Ausmaß des Problems. Dies gefährdete nicht nur den Ruf einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch das Vertrauen in die Wissenschaft selbst, kommentierte die Helmholtz-Gemeinschaft. Der Ombudsmann der Universität Heidelberg, Joachim Funke, nannte es ein „Desaster für die Wissenschaft, weil damit ungeprüfte Behauptungen in die Welt gesetzt werden und den Anschein erwecken, es sei Wissenschaft.“

Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen kommentierte: „Wenn das System hat und Leute da nicht nur darauf reinfallen, sondern das nutzen, dann muss man das abstellen.“ Er setzt dabei jedoch auf die Selbstkontrolle der Wissenschaft. Der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Jörg Hacker, plädiert dagegen für eine offensive Vorgehensweise gegen solche Publikationen.

Schwarze Liste

Erste Ansätze, die Raubjournale zu entlarven und an den Pranger zu stellen, machte schon vor einigen Jahren Jeffrey Beall von der University of Colorado. Er stellte eine Schwarze Liste von mehr als 1.000 Verlegern und Fachmagazinen zusammen, die er als „potentially predatory“ einstufte. Allerdings wurde diese Liste seit 2017 nicht mehr weitergeführt und aktualisiert.

Mehr zu den Recherchen und den Praktiken der Raubmagazine finden Sie auf den Seiten des NDR

(Science Media Center, Norddeutscher Rundfunk, 20.07.2018 – NPO)

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