Physik

Quantengas: Eiskalter Blick zum Urknall

Quantenphysiker ebnen Weg zu neuen Materiezuständen in ultrakalten Atomgemischen

Quantengas mit zwei fermionischen Elementen, Lithium-6 (blau) und Kalium-40 (rot) © Ritsch

In der Erforschung von Quantengasmischungen haben Forscher einen wichtigen Meilenstein erreicht. Es gelang ihnen erstmals, in einem Quantengas zwischen zwei so genannten fermionischen Elementen, Lithium-6 und Kalium-40, eine starke Wechselwirkung kontrolliert herzustellen. Ein solches Modellsystem verspricht nicht nur neue Einsichten in die Festkörperphysik, sondern zeigt auch verblüffende Analogien zur Urmaterie kurz nach dem Big Bang. Das Experiment wurde in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ veröffentlicht.

Der Theorie nach bestand das gesamte Universum in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall aus einem Quark-Gluon-Plasma. In diesem Zustand hatten sich diese Elementarteilchen noch nicht zu Atomen zusammengelagert, sondern bewegen sich unter extrem hohem Druck und Temeraturen frei. Auf der Erde lässt sich diese „Ursuppe“ in großen Teilchenbeschleunigern beobachten, wenn zum Beispiel Kerne von Bleiatomen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit aufeinander geschossen und mit Detektoren die dabei entstehenden Produkte untersucht werden.

Wechselwirkung in Teilchenwolken

Nun gelang es Quantenphysikern um Rudolf Grimm und Florian Schreck vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck gemeinsam mit italienischen und australischen Forschern erstmals, Teilchenwolken aus Lithium-6 und Kalium-40-Atomen kontrolliert wechselwirken zu lassen. Sie konnten damit ein Modellsystem etablieren, das sich ähnlich verhält wie das um mehr als 20 Größenordnungen energetisch stärkere Quark-Gluon-Plasma.

Bereits 2008 hatten die Innsbrucker Physiker in einer Quantengasmischung aus Lithium- und Kaliumatomen sogenannte Feshbach-Resonanzen bestimmt, mit denen sie die quantenmechanische Wechselwirkung zwischen den Teilchen über ein Magnetfeld beliebig verändern können. Jetzt konnten sie als weltweit erste auch sehr hohe Wechselwirkungen zwischen den Teilchen herstellen. „Die Magnetfelder müssen dazu auf ein Hunderttausendstel genau justiert und sehr präzise kontrolliert werden“, erklärt Schreck.

Quantengas zerfließt gemeinsam

In dem Experiment präparieren die Physiker in einer optischen Falle die ultrakalten Gase aus Lithium-6 und Kalium-40-Atomen und legen sie übereinander, wobei die kleinere Wolke der schwereren Kaliumatome sich im Zentrum der Lithiumwolke befindet. Nach dem Abschalten der Falle beobachten sie bei unterschiedlich starken Magnetfeldern die Expansion des Quantengases. „Bei starker Wechselwirkung der Teilchen verhalten sich die Gaswolken plötzlich hydrodynamisch“, erzählt Schreck. „Im Zentrum der Teilchenwolke – dort wo die Kaliumatome mit den Lithiumatomen wechselwirken – bildet sich ein elliptischer Kern. Außerdem passen die unterschiedlich schweren Teilchen ihre Expansionsgeschwindigkeiten aneinander an.“

Aus der Theorie weiß man, dass beide Phänomene auf hydrodynamisches Verhalten des Quantengases schließen lassen. „Dieses Verhalten ist das auffälligste Phänomen, das in Quantengasen beobachtet werden kann, wenn Teilchen stark miteinander wechselwirken“, sagt Rudolf Grimm. „Dieses Experiment eröffnet damit ein neues Gebiet der Vielteilchenphysik.“

Modellsystem für den Urknall

Auch Hochenergiephysiker machen diese zwei Beobachtungen, wenn sie in Teilchenbeschleunigern Quark-Gluon-Plasmen herstellen. Unter sehr gut kontrollierten Laborbedingungen kann das Innsbrucker Quantengasexperiment damit als Modellsystem für Phänomene im Universum kurz nach dem Urknall gesehen werden. „Wir können daran aber vor allem auch sehr vielen Fragen der Festkörperphysik modellhaft untersuchen“, freut sich Rudolf Grimm, der das Quantengasgemisch nun mit seinem Team weiter untersuchen will. „Ein großes Ziel ist es, Quantenkondensate herzustellen, wie z.B. Bose-Einstein-Kondensate von aus Lithium- und Kaliumatomen gebildeten Molekülen. Dies wird unsere Möglichkeiten, neuartige Materiezustände zu realisieren, noch erheblich erweitern.“ (Physical Review Letters, 2011; DOI: 10.1103/PhysRevLett.106.115304)

(Universität Innsbruck, 21.03.2011 – NPO)

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