Warum die Temperaturen im Sonnenwind in bestimmten Richtungen nahezu gleich sind und wieso verschiedene Energiedichten beinahe identisch sind, war bislang völlig unverstanden. Mit einem neuen Modell haben Bochumer Forscher nun beide Probleme auf einmal gelöst.
In ihren Ansatz bezogen sie erstmals die Effekte von Zusammenstößen der Sonnenwindteilchen mit ein. Er erklärt experimentelle Daten deshalb wesentlich besser als vorangegangene Berechnungen und lässt sich auch auf kosmische Plasmen außerhalb des Sonnensystems übertragen, berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“.
Sonnenwind besteht aus geladenen Teilchen
Der Sonnenwind besteht aus geladenen Teilchen und ist von einem Magnetfeld durchsetzt. Bei der Analyse dieses Plasmas untersuchen Forscher zwei Arten von Drücken: Der magnetische Druck beschreibt die Tendenz der Magnetfeldlinien, sich gegenseitig abzustoßen, der kinetische Druck resultiert aus dem Impuls der Teilchen. Das Verhältnis von kinetischem zu magnetischem Druck wird Plasmabeta genannt und ist ein Maß dafür, ob mehr Energie pro Volumen in Magnetfeldern oder in der Teilchenbewegung gespeichert ist.
In vielen kosmischen Quellen liegt das Plasmabeta nach Angaben der Forscher um den Wert eins, was gleichbedeutend mit Energiegleichverteilung ist. Zudem herrscht in kosmischen Plasmen nahezu Temperaturisotropie, das heißt, die Temperatur ist in paralleler und senkrechter Richtung zu den Magnetfeldlinien des Plasmas gleich.
Erklärung für Rautenform fehlte bisher
Über zehn Jahre lang sammelten die Instrumente des in Erdnähe befindlichen WIND-Satelliten verschiedene Sonnenwinddaten. Trägt man die gemessenen Plasmabeta gegen die Temperaturanisotropie – das Verhältnis von senkrechter zu paralleler Temperatur – auf, fallen die Messpunkte in einen rautenförmigen Bereich um den Wert eins.
„Wenn sich die Werte aus der Rautenkonfiguration herausbewegen, ist das Plasma instabil und die Temperaturanisotropie und das Plasmabeta landen schnell wieder in dem stabilen Bereich innerhalb der Raute“, sagt Professor Reinhard Schlickeiser vom Lehrstuhl für Theoretische Physik IV der Ruhr-Universität Bochum. Eine konkrete, detaillierte Erklärung dieser Rautenform fehlte aber bisher, vor allem für niedrige Plasmabeta.
Kollisionen im Sonnenwind
In früheren Modellen ging man davon aus, dass die Sonnenwindteilchen aufgrund der niedrigen Dichte nicht direkt zusammenstoßen, sondern nur über elektromagnetische Felder wechselwirken. „Solche Annahmen sind allerdings für kleine Plasmabeta nicht mehr gerechtfertigt, da dann die Dämpfung aufgrund von Teilchenstößen berücksichtigt werden muss“, so der Physiker Michal Michno.
Schlickeisers Team bezog diese zusätzliche Dämpfung in ihr Modell mit ein, wodurch neue Rautengrenzen, also neue Stabilitätsbedingungen, entstanden. Das Bochumer Modell erklärt die gemessenen Sonnenwinddaten nach Angaben der Forscher wesentlich besser als frühere Theorien.
Allgemeingültige Lösung
Das neue Modell kann auch auf andere dünne kosmische Plasmen übertragen werden, da sie sehr ähnliche Dichten, Temperaturen und Magnetfeldstärken haben wie der Sonnenwind. Auch wenn das Diagramm aus Temperaturanisotropie und Plasmabeta für sie nicht exakt die Rautenform einnimmt, die die Forscher für den Sonnenwind fanden, sagt der neu gefundene Mechanismus voraus, dass die Werte immer nahe um eins liegen.
Damit leistet die Theorie den Wissenschaftlern zufolge auch einen wichtigen Beitrag zur Erklärung der Energiegleichverteilung in kosmischen Plasmen außerhalb des Sonnensystems.
(Ruhr-Universität Bochum, 16.11.2011 – DLO)