Forscher haben zum ersten Mal im Labor ein Magnetfeld erzeugt, dessen Stärke 90 Tesla übertrifft. Für diesen Weltrekord konstruierten Dresdener Wissenschaftler eigens eine 200 Kilogramm schwere, etwa Mülleimer-große Doppelspule, die mittels spezieller Korsetts den gewaltigen Kräften des Feldes widerstehen kann. Der Erfolg bedeutet einen wichtigen Fortschritt auch für die Materialforschung, in der Experimente mit hohen Magnetfeldern essenziell sind.
Den neuen Weltrekord für Magnetfelder hält seit dem 22. Juni 2011 das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf mit 91,4 Tesla. Für ihren Erfolg haben Sergei Zherlitsyn und seine Kollegen vom Institut Hochfeld-Magnetlabor (HLD) eine rund 200 Kilogramm schwere Spule entwickelt, in der ein elektrischer Strom das gigantische magnetische Feld aufbaut – für einen Zeitraum von wenigen Millisekunden. Die Spule hat das Experiment unbeschadet überstanden. „Bei diesem Rekord geht es uns gar nicht so sehr um physikalische Spitzenwerte, sondern um Materialforschung“, erklärt der Leiter des HLD Joachim Wosnitza. Vielmehr sind die Wissenschaftler stolz darauf, als erstes Nutzerlabor weltweit Magnetfelder oberhalb von 85 Tesla für die Forschung bereit zu stellen.
Je stärker ein Magnetfeld ist, umso genauer können die Forscher Substanzen untersuchen, die für neuartige elektronische Bauteile oder auch für sogenannte Supraleiter in Frage kommen, die Strom ohne Widerstand leiten. Eine Kupfer-Spule, durch die ein elektrischer Strom fließt, kann solch hohe Magnetfelder erzeugen. Das Magnetfeld wirkt allerdings auch auf den elektrischen Strom zurück und versucht ihn aus der Spule herauszudrücken. Je stärker der Strom fließt, umso heftiger wirkt diese Kraft.
„Bei 100 Tesla würde die Lorentzkraft im Kupfer einen Druck erzeugen, der dem 40.000-fachen Luftdruck auf Meereshöhe entspricht“, erklärt der Leiter des Hochfeld-Magnetlabors (HLD) Joachim Wosnitza ein mögliches Ergebnis dieses Tauziehens zwischen Magnetfeld und Metall. Kupfer würden solche Kräfte explosionsartig zerreißen. Um aber die elektrische Ladung in den Materialien der Zukunft möglichst genau unter die Lupe zu nehmen, brauchen die Forscher Magnetfelder, die 90 oder 100 Tesla haben. Zum Vergleich: Ein handelsüblicher Kühlschrankmagnet hat 0,05 Tesla.
Korsett für die Kupferspule
Für ihr Experiment nutzten die Forscher am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf daher spezielle Kupfer-Legierungen, die immerhin das Zehntausendfache des Atmosphärendrucks aushalten. Diesem Metall verpassten sie noch eine Art Korsett aus einem Spezialkunststoff, der sonst für schusssichere Westen verwendet wird und der die Legierung von außen zusammenhält. Insgesamt sechs solche Spezialdrähte mit Korsett wickeln die Techniker zu einer Spule, in deren Zentrum ein Hohlraum mit einem Durchmesser von 16 Millimetern bleibt. Immerhin 50 Tesla lassen sich in dieser Spezialspule erzeugen, wenn man einen kurzen, aber starken Stromimpuls durch das Kupfer jagt, der nach 0,02 Sekunden bereits wieder zu Ende ist.
Doppelspule erreicht den Weltrekord
Das ist aber immer noch weit vom Weltrekord entfernt, den die US-Amerikaner in Los Alamos einige Jahre lang mit 89 Tesla verteidigt haben. Also legen die Techniker um die erste Spule eine zweite, die aus zwölf Lagen Kupferdraht besteht. Dieser Draht verkraftet zwar nur das 2.500-fache des Atmosphärendrucks. Aber geschützt von einem Kunststoff-Korsett reicht ein Stromstoß von einer fünftel Sekunde Länge immerhin für ein 40 Tesla-Magnetfeld in dieser Spule aus. Zusammen mit den 50 Tesla der inneren Spule gibt das dann den Weltrekordwert von über 90 Tesla. Verkleidet mit einem Stahlmantel ist diese Doppelspule 55 Zentimeter hoch, hat einen Durchmesser von 32 Zentimetern und ähnelt damit einem reichlich groß geratenen Wassereimer.
Kondensatorbänke statt Schwungradgenerator
Mehrere Wochen haben die HZDR-Techniker an dieser Spule gebaut, die jetzt nicht nur einen Weltrekord geliefert hat, sondern in Zukunft noch viele Untersuchungen von neuen Materialen in ihrem Supermagnetfeld erlauben wird. Dabei ist sie in der Herstellung mit 35.000 Euro deutlich günstiger als ihr Pendant in den USA, das zehn Millionen Dollar gekostet hat. Und es gibt noch einen weiteren Unterschied zum Labor in Los Alamos: Dort werden die Magneten mit einem Schwungradgenerator betrieben, in Rossendorf hingegen mit der weltgrößten Kondensatorbank. Diese kann deutlich flexibler und kostengünstiger eingesetzt werden.
Für Experimente in höchsten Magnetfeldern reisen Forscher aus ganz Europa nach Dresden. Selbst Japaner und US-Amerikaner melden sich im HZDR an, um ihre Materialien dort unter die Lupe zu nehmen. Und weil die vorhandenen fünf Räume mit ähnlichen Spulen dem Andrang der Forscher schon heute nicht mehr gewachsen sind, sollen bis 2014 sechs weitere dieser „Pulszellen“ entstehen.
(Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf, 29.06.2011 – NPO)