Ein Atom, größer als die meisten Bakterien: Deutsche Physiker haben ein einzelnes Atom mit einer Größe von mehreren Mikrometern erzeugt. Innerhalb seiner Elektronenhülle enthielt es mehrere zehntausend normale Atome. Das Riesenatom dient als Modellsystem, in dem die Wechselwirkung eines einzelnen Elektrons mit vielen Atomen studiert werden kann. Das Verständnis der Wechselwirkung von Elektronen mit der Materie ist wesentlich für die Lösung fundamentaler Fragestellungen und technischer Probleme. Die Ergebnisse publizierte die Arbeitsgruppe aus Stuttgart in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Wechselwirkung mit Elektronen bestimmen Eigenschaften
Die spezifischen Eigenschaften unterschiedlicher Materialien beruhen im Wesentlichen auf den Wechselwirkungen von Elektronen mit ihrer Umgebung. Ein Beispiel dafür ist die elektrische Leitfähigkeit: Elektronen stoßen mit den Atomen des umgebenden Materials zusammen und regen dadurch Schallwellen, so genannte Phononen, an. Durch diese Schwingungen kann ein Elektron Energie abgeben und wird abgebremst, was den elektrischen Widerstand verursacht.
Am besten geeignet für eine systematische Untersuchung solcher Prozesse ist ein einzelnes Elektron. Die negativ geladenen Elektronen werden in der Natur von einem positiv geladenen Atomkern eingefangen. Diesen Atomkern umkreisen sie – so das klassische Bild – auf Ellipsenbahnen, die an den Umlauf der Planeten um die Sonne erinnern. Die Bahnen eines Elektrons, das so genannte Orbital, sind typischerweise jedoch viel kleiner als ein Nanometer. Ein Nanometer ist ein Millionstel eines Millimeters.
Atom mit Laser aufgebläht
Wie ermöglicht man aber nun einem Elektron die Wechselwirkung mit vielen Atomen, nicht nur mit dem Atomkern, den es umkreist? Hierzu studierten Physiker der Universität Stuttgart eine Wolke aus 100.000 ultrakalten Atomen nahe dem absoluten Nullpunkt, ein so genanntes Bose-Einstein Kondensat. Die Forscher regten ein einzelnes Atom innerhalb dieser ultragekühlten Wolke mit Hilfe von Laserlicht an. Durch die so zugeführte Energie bläht sich das Orbital eines einzelnen Elektrons auf mehrere Mikrometer auf: Es entsteht ein so genanntes Rydberg-Atom. Dieses ist – auf atomarer Skala – von gewaltigen Ausmaßen, mehrere Tausend Mal größer als vor der Laser-Anregung.
Es ist damit sogar größer als die meisten Bakterien, die jeweils aus mehreren Milliarden bis Billionen von Atomen bestehen. Trotz der nun, für ein Atom, geradezu astronomischen Entfernung zwischen Elektron und Atomkern handelt es sich dennoch um ein zusammengehöriges Atom. Um beim Bild der Planeten zu bleiben: Auch die entferntesten, die die Sonne umkreisen, gehören noch zu unserem Sonnensystem.
Innerhalb des Orbitals, der „Umlaufbahn“ des Elektrons, und damit im Inneren des Rydberg-Atoms befinden sich dann mehrere zehntausend andere Atome aus der kalten Wolke. „Es ist, als hätte das Riesenatom das Quantengas regelrecht verschluckt“, erklärt Jonathan Balewski, Doktorand am 5. Physikalischen Institut. Das Elektron ist dadurch gleichzeitig in ein definiertes Volumen eingesperrt und kann trotzdem mit einer großen Anzahl von Atomen interagieren. Diese Wechselwirkung ist so stark, dass das einzelne Elektron die gesamte Atomwolke beeinflussen kann. Abhängig vom Quantenzustand dieses Elektrons werden Phononen in der Atomwolke angeregt, die als kollektive Schwingungen der gesamten Wolke gemessen werden können. Es können dadurch sogar Atome aus der Wolke herausgeschleudert werden.
Abbildung einzelner Elektronen vorstellbar
Die bisherigen experimentellen Beobachtungen in der Stuttgarter Arbeitsgruppe von Tilman Pfau konnten in Zusammenarbeit mit theoretischen Physikern um Hans Peter Büchler weitgehend erklärt werden. Diese Arbeit ist jedoch die Ausgangsbasis für eine ganze Reihe weiterer Experimente. Den bisherigen Untersuchungen zufolge hinterlässt das Elektron eine deutliche Spur in der umgebenden Atomwolke. Damit läge zum Beispiel die Abbildung eines einzelnen Elektrons in einem genau definierten Quantenzustand im Bereich des technisch Möglichen.
(Nature, 2013; doi: 10.1038/nature12592)
(Universität Stuttgart, 31.10.2013 – AKR)