Die Materie eines Sterns mit einem Laser zu röntgen – das haben Wissenschaftler jetzt geschafft. Anders als Satelliten und Teleskope studierten die Physiker das leuchtende Plasma der Sternenatmosphären allerdings nicht im All sondern direkt im Labor: Wissenschaftler haben erstmals eine Spektrallinie von so genanntne hochgeladenen Ionen zum Leuchten angeregt und präzise vermessen.
Hochgeladene Ionen entstehen nur bei sehr hohen Temperaturen von Millionen oder gar Milliarden Grad Celsius – Bedingungen, wie sie etwa in der Korona der Sonne herrschen. In dieser extremen Umgebung verlieren Atome durch Stöße untereinander die meisten ihrer Elektronen, beispielsweise behält Eisen von insgesamt 26 nur noch die drei, die am stärksten an den Kern gebunden sind. Diese verbleibenden Elektronen zeigen ungewöhnliche Eigenschaften: Sie halten sich der Nähe, manchmal sogar innerhalb des Atomkerns auf und spüren dadurch dessen elektrische und magnetische Kraftfelder besonders stark.
Die Folge sind Verschiebungen der atomaren Spektrallinien, die im neutralen Atom in schwächerer Form zwar auch auftreten, jedoch im komplizierten Wechselspiel der vielen Elektronen kaum auszumachen sind. Beschrieben werden diese Phänomene durch die Quantenelektrodynamik (QED), eine der grundlegenden physikalischen Theorien. Die genaue Vermessung hochgeladener Ionen erlaubt es, wichtige theoretische Vorhersagen der QED experimentell zu überprüfen. Daher ist das Interesse der Physiker an diesem Sternenfeuer im Labor groß.
Über die Grenze des theoretisch Möglichen hinaus
Einen entscheidenden Beitrag auf diesem Gebiet haben nun erstmals Forscher um Sascha Epp und José Crespo López-Urrutia vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik geleistet: Sie wandten eine sehr präzise Messmethode für neutrale Atome, die Resonanz-Fluoreszenz-Spektroskopie, auf hoch geladene Ionen an, und bestimmten so die Frequenz eines elektronischen Übergangs von 23-fach positiv geladenem Eisen auf wenige Millionstel genau. Damit übersteigt ihre Messung hinsichtlich der Präzision bereits die Grenze der heutigen theoretischen Möglichkeiten.
„Die Quantenelektrodynamik ist derzeit die genaueste aller physikalischen Theorien“, erläutert Crespo López-Urrutia: „Die mathematischen Formalismen der Quantenelektrodynamik spielen aber auch bei der Beschreibung aller anderen bekannten Kräfte, beispielsweise in der Hochenergiephysik, eine große Rolle. Die QED bildet daher einen Grundbaustein unseres modernen physikalischen Verständnisses.“ Da wundert es kaum, dass Physiker in aller Welt daran arbeiten, die Vorhersagen der QED immer genauer zu überprüfen.
Strahlen im „weichen“ Röntgenlicht
Möglich wurde das Experiment der Max-Planck-Wissenschaftler erst durch den neuen Freie-Elektronen-Laser FLASH, der seit Kurzem am DESY in Hamburg zur Verfügung steht: FLASH, kurz für Free electron LASer in Hamburg, ist der weltweit erste Laser, der im weichen Röntgenbereich strahlt. Da hochgeladene Ionen Strahlung bei vergleichbar kurzen Wellenlängen aufnehmen und aussenden, können sie erst mit dem neuen Röntgenlaser direkt zum Fluoreszieren angeregt werden. Die Wellenlänge, die FLASH aussendet, lässt sich darüber hinaus variieren, und erfüllt damit alle wesentlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Resonanz-Fluoreszenz-Spektroskopie.
Die hochgeladenen Ionen für ihre Experimente stellen die Wissenschaftler in einer speziellen Ionenfalle her, der Electron Beam Ion Trap (EBIT): Ein scharf fokussierter Elektronenstrahl ionisiert die Atome im Inneren der EBIT bis zum gewünschten Ladungszustand, je nachdem wie hoch die Spannung ist, die den Elektronenstrahl beschleunigt. Gleichzeitig halten starke elektrische und magnetische Felder die Ionen gefangen.
Die Forscher produzieren so einige Millionen hochgeladene Ionen, konzentriert auf das Volumen eines Haars: fünf Zentimeter lang, aber gerade mal 250 Mikrometer dick ist das Ionenwölkchen, auf das die Röntgenblitze des Lasers treffen. Mit Beobachtungsinstrumenten, die den Messgeräten an Bord von Satelliten oder in großen Teleskopen gleichen, messen die Physiker das Fluoreszenzsignal – auf der Erde haben die Wissenschaftler über die Betriebsparameter der EBIT allerdings die Kontrolle über Zusammensetzung und Temperatur des gespeicherten Sternenfeuers.
Mehr Präzision durch kürzere Messungen
Messungen, wie sie die Heidelberger Physiker nun mit dem Elektronenlaser durchgeführt haben, sind zwar prinzipiell auch mit herkömmlichen Methoden möglich. Beispielsweise kann man die Strahlung, die von dem Sternenplasma im Labor ausgeht, spektroskopisch analysieren. Doch die Wissenschaftler haben den neuen Laser noch lange nicht ausgereizt: „Alleine indem wir länger messen und die Strahlungseigenschaften FLASH durch bessere Justage und größere Detektoren optimal nutzen, können wir die Präzision bereits in naher Zukunft um den Faktor 100 verbessern“, erklärt Crespo López-Urrutia.
Künftig wollen die Physiker mit FLASH darüber hinaus messen, wie lange ein Elektron in einem angeregten Zustand verweilt. Das sind bei hochgeladenen Ionen nur wenige Billiardstel einer Sekunde. Da der Hamburger Elektronen-Laser Pulse liefert, die in etwa ebenso kurz sind wie die Zeit, die ein Elektron auf dem oberen Niveau verbringt, lässt sich diese mit den Röntgenblitzen des FLASH bestimmen. „Ähnlich wie man aus den Strahlungsübergängen neutraler Atome den Takt einer Atomuhr bestimmt, könnte man mit hochgeladenen Ionen künftig sogar einen weiteren Frequenzstandard definieren“, so Crespo López-Urrutia, „das ist allerdings noch Zukunftsmusik.“
(MPG, 03.05.2007 – NPO)