Physik

Schnellstes Schmelzen aller Zeiten beobachtet?

Schwerionen-Beschuss verwirrt Elektronen

Das K1-XV-Linienspektrum von Beryllium-Oxid ändert seine Struktur abhängig vom Projektil: Bei stark geladenen Xe31+-Ionen zeigt sich eine metallische Struktur. © Schiwietz / HZB

Berliner Wissenschaftler haben bei Beryllium-Oxid (BeO) exotisches Verhalten beobachtet, wenn dieses mit schnellen Schwerionen beschossen wird: Die Elektronen des BeO scheinen nach dem Beschuss geradezu „verwirrt“ und vergessen völlig die Materialeigenschaften ihrer Umgebung.

Die Messergebnisse zeigen Veränderungen in der Elektronenstruktur an, die durch ein extrem schnelles Schmelzen rund um die Einschussbahn der Schwerionen erklärt werden können. Wenn diese Interpretation zutrifft, wäre es das schnellste Schmelzen, das je beobachtet wurde, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“.

Das Team um Professor Gregor Schiwietz vom Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) bestrahlte in seinen Experimenten einen Beryllium-Oxid-Film mit schnellen Schwerionen, deren Ladung so stark ist, dass sie eine maximale Zerschlagungskraft besitzen. Anders als in bislang üblichen Verfahren wählten die Forscher die Energie der Schwerionen so, dass sie hauptsächlich mit deren äußeren Bindungselektronen in Wechselwirkung treten.

Bisher unbekannter Effekt nachgewiesen

Wenn Schwerionen in das Material eindringen, zeigen sich in der unmittelbaren Umgebung der eingeschossenen Ionen den Wissenschaftlern zufolge üblicherweise zwei Effekte: Die Elektronen in unmittelbarer Umgebung heizen sich auf und die Atome werden stark geladen. Dabei werden Auger-Elektronen emittiert, deren Energiezustände messbar sind und im sogenannten Linienspektrum dargestellt werden. Das Linienspektrum ist für jedes Material charakteristisch und wird im Normalfall bei Beschuss mit Schwerionen nur leicht verändert.

Zum weltweit ersten Mal beschossen die HZB-Forscher nun aber einen Ionenkristall (BeO), der Isolator-Eigenschaften hat, mit sehr schnellen Schwerionen (Xenon-Ionen) und konnten einen bisher unbekannten Effekt nachweisen: Das Linienspektrum der Auger-Elektronen ändert sich stark, es ist „verwaschen“ und zu höheren Energien hin gestreckt.

Isolator-Eigenschaften komplett „vergessen“

Gemeinsam mit einem Physiker-Team aus Polen, Serbien und Brasilien haben die Wissenschaftler beobachtet, dass die Auger-Elektronen, die das aufgeheizte BeO-Material emittiert, deutlich metallische Signaturen zeigen. Die Auger-Elektronen scheinen ihre Isolator-Eigenschaften komplett „vergessen“ zu haben. Dies sehen die Wissenschaftler als klaren Beweis dafür, dass die Bandstruktur sehr schnell zusammen­bricht, wenn das BeO mit Schwerionen beschossen wird – und zwar in weniger als rund 100 Femtosekunden (eine Femtosekunde ist ein Millionstes von einem Millionsten einer Millisekunde).

Auslöser für den Zusammenbruch sind die hohen Elektronentemperaturen von bis zu 100.000 Kelvin. Das Material des ansonsten kalten Festkörpers bleibt aber langfristig insgesamt intakt.

Auf der Suche nach weiteren schnellen Schmelzprozessen

Die Ergebnisse der HZB-Wissenschaftler liefern einen starken Hinweis auf ultraschnelle Schmelzprozesse rund um die Einschussbahn der Schwerionen. Dem Schmelzen folgt ein Ausglühen, das alle dauerhaften Anzeichen des Schmelzvorgangs löscht.

Schiwietz hofft, dass bei anderen ionischen Kristallen ebensolche schnellen Schmelzprozesse gefunden werden, der Prozess des Ausglühens aber unterdrückt ist. In diesem Fall wäre eine Anwendung für Programmierungen im Femtosekundenbereich vorstellbar.

(idw – Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie, 04.11.2010 – DLO)

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