Schon Einstein soll gesagt haben, dass die mathematisch richtige Lösung auch meist eine „schöne Lösung“ ist. Instinktiv sollen viele Wissenschaftler Schönheit als Indiz für Wahrheit nutzen. Ob das wirklich so ist, und ob diese Interpretation ein folge unbewusster Verarbeitungsprozesse im Gehirn ist, haben jetzt norwegische Forscher im Experiment getestet – mit erstaunlichen Ergebnissen.
Immer wieder wird berichtet, dass Mathematiker und Wissenschaftler Schönheit als einen Hinweis für Wahrheit oder Korrektheit einer Lösung nutzten. Der französische Mathematiker Jacques Hadamard zum Beispiel beschrieb 1954 in seinem Buch “The psychology of invention in the mathematical field”, dass ein Sinn für Schönheit der fast einzige nützliche „Trieb“ für Entdeckungen in der Mathematik sei. Allerdings basierte diese Annahme auf Anekdoten, und die Gründe für die Verbindung von Schönheit und Wahrheit blieben im Dunkeln.
Halten wir Schönes automatisch für wahr?
Rolf Reber, zusammen mit dem Mathematiker Morten Brun und der Psychologin Karoline Mitterndorfer, alle von der Universität Bergen in Norwegen, haben nun einen ersten experimentellen Beleg für den Gebrauch von Schönheit als Wahrheit berichtet. Die Autoren leiteten ihre Hypothesen von einer Theorie der Schönheit ab, die postulierte, dass das gemeinsame Gefühl, das sowohl der wahrgenommenen Schönheit und der beurteilten Wahrheit zugrunde liegt, eine Art „erlebte Leichtigkeit“ ist, mit der die Information verarbeitet werden kann.
Punkte addieren für die Wissenschaft
Auf das mathematische Urteil angewandt, nutzten die Forscher ein Merkmal, das dafür bekannt ist, dass es die Informationsverarbeitung erleichtert und als schön wahrgenommen wird: Symmetrie. Sie nahmen an, dass der Mensch diese unbewusst als ein Indiz dafür nutzt, ob die Lösung einer arithmetischen Aufgabe korrekt sei oder nicht.
Für ihre Experimente konstruierten die Wissenschaftler Additionen, die aus Punkten bestanden. Zum Beispiel ergaben 12 Punkte plus 21 Punkte 33 Punkte. Die Hälfte der Additionen war korrekt, die andere Hälfte falsch, wie zum Beispiel 12 Punkte plus 21 Punkte ergeben 27 Punkte. Die Hälfte der Additionen besaßen symmetrische Punktmuster, die andere Hälfte asymmetrische Punktmuster. Die Probanden, Studenten, die nicht Mathematik studierten, bekamen die Additionen kurz gezeigt, in einem Experiment zum Beispiel für 1800 Millisekunden, und mussten unmittelbar danach entscheiden, ob die Aufgabe korrekt oder inkorrekt ist.
Symmetrie gilt instinktiv als korrekt
Das Ergebnis scheint die Schönheits-Hypothese zu bestätigen: Die Versuchteilnehmer schätzten symmetrische Additionen mit größerer Wahrscheinlichkeit als korrekt ein als asymmetrische Additionen. Da dies auch dann der Fall wahr, wenn die Additionen in Wirklichkeit falsch waren, kann dieses Ergebnis nicht mit der Tatsache erklärt werden, dass symmetrische Additionen leichter zu rechnen oder zu schätzen sind: In diesem Falle würde man erwarten, dass falsche symmetrische Additionen weniger wahrscheinlich als korrekt eingeschätzt würden. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass für die Teilnehmer die Symmetrie der Summanden ein Zeichen für die Korrektheit der Aufgabe war.
Schönheit = Wahrheit
Die Versuche zeigen, dass Personen, die nicht genug Zeit zum Lösen einer Aufgabe haben, Faustregeln benutzen, um die Korrektheit einer vorgeschlagenen Lösung zu beurteilen. Dieses einfache Experiment simuliert die kompliziertere Situation, in der Mathematiker eine plausible Lösung gefunden haben und nun schnell beurteilen wollen, ob diese „gefühlsmäßig“ richtig ist. Dieser neue Befund liefert eine Antwort auf das Rätsel, warum im mathematischen Urteil Schönheit = Wahrheit ist.
(University of Bergen, 24.11.2008 – NPO)