Wer ist zuerst da: die supermassereichen Schwarzen Löcher, die im Inneren von Galaxienkernen sitzen, oder die riesigen Galaxien, die sie beherbergen? Neue Beobachtungen eines scheinbar heimatlosen Schwarzen Lochs deuten jetzt auf ein neuartiges Szenario hin, in dem sich die kosmischen Giganten die sie umgebenden Galaxien aktiv „zusammenbauen“.
Dies könnte erklären, warum die Massen solcher Schwarzen Löcher umso größer sind, je mehr Sterne ihre Heimatgalaxie enthält, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“.
Quasar HE0450-2958 beobachtet
„Es ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei: Wer war zuerst da, die Galaxie oder das Schwarze Loch? Das ist eine der meistdiskutierten Fragen der modernen Astrophysik“, so David Elbaz vom CEA Saclay, der Erstautor des Fachartikels. „Unsere Untersuchungen legen nahe, dass supermassereiche Schwarze Löcher die Sternentstehung anregen und so ihre eigene Heimatgalaxie mit erschaffen können. Das würde auch erklären, warum es in Galaxien, deren zentrale Schwarze Löcher größer sind, mehr Sterne gibt.“
Diese bemerkenswerten Schlussfolgerungen basieren auf sorgfältigen Beobachtungen eines ungewöhnlichen Objekts, des nahen Quasars HE0450-2958. HE0450-2958 ist der einzige Quasar, für den bislang keine umgebende Galaxie nachgewiesen werden konnte. Er ist fünf Milliarden Lichtjahren von der Erde entfernt.
Heimatgalaxie doch nicht hinter Staub verborgen
Bis jetzt wurde allgemein angenommen, dass sich die Heimatgalaxie des Quasars hinter großen Mengen von Staub verbirgt. Daher verwendeten die Astronomen für die neuen Beobachtungen ein Instrument am Very Large Telescope der ESO, das Licht im mittleren Infrarotbereich auffängt. In diesem Wellenlängenbereich sind Staubwolken hell leuchtende Objekte und lassen sich direkt beobachten.
„Mit diesem Instrument hätten wir Staub, hinter dem sich die Heimatgalaxie des Quasars verbergen kann, direkt nachweisen können“, so Knud Jahnke vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, der für die Beobachtungen mit dem VLT verantwortlich war. „Allerdings war kein Staub zu sehen. Stattdessen entdeckten wir, dass in einer Galaxie in der unmittelbaren Nachbarschaft des Quasars überraschend viele neue Sterne entstehen.“
Das wirft ganz neues Licht auf die Situation: Zwar waren in unmittelbarer Nähe des Schwarzen Lochs keinerlei Sterne gefunden worden. Die Galaxie, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet, enthält dagegen extrem viele helle und sehr junge Sterne. Außerdem bilden sich dort in großer Zahl neue Sterne – entsprechend der Entstehung von 350 Sonnen pro Jahr, und damit einer rund hundert Mal größeren Sternentstehungsrate in typischen Galaxien unserer kosmischen Nachbarschaft.
Jet aus hochenergetischen Teilchen
Frühere Beobachtungen hatten bereits gezeigt, dass die Nachbargalaxie unter Beschuss steht: Der Quasar speit ihr einen Jet aus hochenergetischen Teilchen entgegen, der von einem Strom schnell fließender Gasmaterie begleitet wird. Dass der Quasar seiner Nachbargalaxie Materie und Energie zuführt, zeigt, dass der Quasar selbst für die hohe Sternentstehungsrate verantwortlich sein könnte – und deutet allgemeiner auf ein Szenario hin, in dem sich Galaxien aus Gaswolken bilden, die von den hochenergetischen Jets von Quasaren getroffen worden sind.
Nackter Quasar sucht Hülle
„Die beiden Objekte werden in Zukunft verschmelzen: Der Quasar bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von einigen zehntausend Kilometer pro Stunde relativ zu seiner Nachbargalaxie, und die beiden sind nur 22.000 Lichtjahre voneinander entfernt“, so Elbaz. „Selbst wenn der Quasar derzeit noch ‚nackt‘ sein mag – letztlich wird er eine geeignete ‚Hülle‘ bekommen, wenn er mit seiner sternreichen Nachbargalaxie verschmilzt. Dann wird er endlich, wie alle anderen Quasare, eine Heimatgalaxie haben.“
Die Suche geht weiter
Die hier vorgeschlagene Rolle der Jets Schwarzer Löcher als Triebkraft der Galaxienentwicklung könnte nach Ansicht der Astronomen eine grundlegende Frage der Zusammenhänge zwischen Galaxien und ihren zentralen Schwarzen Löchern erklären: warum die Massen solcher Schwarzen Löcher umso größer sind, je mehr Sterne ihre Heimatgalaxie enthält. „Der naheliegende nächste Schritt besteht darin, in anderen Systemen nach ähnlichen Objekten zu suchen“, so Jahnke.
Mit zukünftigen Beobachtungsinstrumenten wie dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array, dem European Extremely Large Telescope und dem James Webb-Weltraumteleskop von NASA/ESA/CSA werden sich derartige Objekte in noch größeren Entfernungen aufspüren lassen, so dass der Zusammenhang zwischen Schwarzen Löchern und der Entstehung von Galaxien auch für entferntere kosmische Regionen überprüft werden kann.
(idw – Max-Planck-Institut für Astronomie, 01.12.2009 – DLO)