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Chemie

Schweflige Säure: Es gibt sie doch

Chemikern gelingt erster Nachweis von schwefliger Säure unter Normalbedingungen

schweflige Säure
Schweflige Säure ließ sich bisher kaum direkt erzeugen und nachweisen. Jetzt ist dies Chemikern erstmals unter atmosphärischen Bedingungen gelungen. © HG: studio23/Getty images, Formeln: gemeinfrei

Lange nur vermutet, jetzt endlich nachgewiesen: Chemiker haben erstmals schweflige Säure (H2SO3) unter Atmosphärenbedingungen nachgewiesen – eine Säure, die als extrem instabil und quasi „nicht existent“ galt. Doch wie die Versuche enthüllen, kann diese kurzlebige Schwefelverbindung auch in der Erdatmosphäre entstehen. Dort werden den Berechnungen zufolge sogar acht Millionen Tonnen schweflige Säure jährlich gebildet, wie das Team berichtet. Damit spielt diese Säure eine wichtigere Rolle für die Atmosphärenchemie als lange gedacht.

Im Gegensatz zur bekannteren Schwefelsäure (H2SO4) ist schweflige Säure (H2SO3) extrem instabil: Sie zerfällt nahezu instantan wieder in Schwefeldioxid und H2O. Deshalb galt diese Säure als quasi nicht herstellbar und ihre Existenz in isolierter Form als unmöglich. Auch alle Versuche, diese schwer zugängliche Säure in wässriger Schwefeldioxid-Lösung nachzuweisen, sind bisher gescheitert.

Dass die schweflige Säure überhaupt gebildet werden kann, wurde erst 1988 in einem Massenspektrometer unter Vakuumbedingungen nachgewiesen – allerdings hielt das Molekül auch dort nur wenige Mikrosekunden.

schweflige Säure
Strukturformel der schwefligen Säure H2SO3. © gemeinfrei

Man nehme…

Jetzt ist Chemikern das scheinbar Unmögliche gelungen: Sie haben schweflige Säure erstmals unter atmosphärischen Bedingungen nachgewiesen. Ansatzpunkt des Teams um Torsten Berndt vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig waren theoretische Modelle, nach denen H2SO3 in der Gasphase etwas stabiler sein könnte als in wässriger Lösung. In trockener Luft soll die schweflige Säure demnach sogar mehrere Stunden bis Tage erhalten bleiben.

Für ihr Experiment gingen die Chemiker von zwei Molekülen aus, die als mögliche Ausgangsstoffe für die Bildung der schwefligen Säure unter Atmosphärenbedingungen gelten: Hydroxyl-Radikale (-OH) und Dimethylsulfid (DMS). Erstere sind reaktive Sauerstoffverbindungen, die als „Waschmittel“ der Atmosphäre gelten, Dimethylsulfid wird vor allem von Ozeanen in die Luft freigesetzt. Es ist mit jährlich etwa 30 Millionen Tonnen die größte biogene Schwefelquelle für die Atmosphäre. Bei seiner Oxidation in der Luft entsteht dabei als Zwischenprodukt Methansulfinsäure (CH3S(O)OH).

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Das Team ließ für ihren Versuch daher Hydroxyl und Methansulfinsäure in trockener, fast wasserfreier bei Raumtemperatur und Normaldruck miteinander reagieren.

Auch in der Atmosphäre vorhanden

Mit Erfolg: Durch die Reaktionen entstand tatsächlich schweflige Säure, wie die Chemiker mit einem hochsensiblen Massenspektrometer nachweisen konnten: „Die Analyse der Produkte der 2. Generation ergab eine molare H2SO3-Ausbeute von 53 Prozent“, berichten Berndt und sein Team. „Dieser Wert ist höher als das Ergebnis theoretischer Berechnungen.“ Die Analysen ergaben zudem, dass die schweflige Säure unabhängig von der Luftfeuchtigkeit eine halbe Minute lang stabil blieb – so lange, wie zuvor noch nie experimentell nachgewiesen.

Dies ist nicht nur der erste Nachweis von schwefliger Säure in der Gasphase – die Bildung dieser Verbindung enthüllt auch einen zuvor unbekannten Akteur der Atmosphärenchemie. Denn ergänzenden Modellrechnungen zufolge könnten in der irdischen Lufthülle jährlich rund acht Millionen Tonnen H2SO3 gebildet werden. Damit übertrifft die Bildung der schwefligen Säure die der Schwefelsäure in der Atmosphäre deutlich, wie die Chemiker erklären.

„Die neuen Ergebnisse können damit zu einem besseren Verständnis des atmosphärischen Schwefelkreislaufs beitragen“, sagen Berndts Kollegen Andreas Tilgner und Erik Hoffmann. Zwar ist die schweflige Säure nicht sehr langlebig, dennoch könnte ihre Präsenz einen Einfluss auf die chemischen Prozesse in der Atmosphäre haben. „Es sind noch wesentlich mehr Untersuchungen notwendig, um die Bedeutung von H2SO3 hinreichend zu klären“, sagt Berndt. (Angewandte Chemie Int. Edition, 2024; doi: 10.1002/anie.202405572)

Quelle: Leibniz-Institut für Troposphärenforschung e. V.

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