Gegenangriff bei Gefahr: Was in der Natur funktioniert, könnte bald auch Geldautomaten vor Räubern schützen. Wissenschaftler aus der Schweiz haben eine Folie entwickelt, die dem Angreifer bei Beschädigung heißen Schaum entgegenspritzt. Das Funktionsprinzip haben sie sich von einem explosiven Käfer abgeschaut.
Zahlreiche Erfindungen haben Menschen sich von der Natur abgeschaut, von der Wabenstruktur im Leichtbau bis zum Lotus-Effekt bei Antihaftbeschichtungen. Der Bombardierkäfer liefert mit seinem aggressiven Selbstverteidigungssystem nun eine weitere Inspiration. Bei Gefahr mischt der Käfer in seinem Hinterleib die Chemikalien Wasserstoffperoxid und Hydrochinon. Enzyme sorgen dann für eine explosionsartige Reaktion: Der Käfer stößt eine Wolke von nahezu kochend heißem Dampf aus, um Angreifer in die Flucht zu schlagen.
Chemische Energie wie aus einer Sprengkapsel
Nach dem gleichen Prinzip, wenn auch etwas weniger aggressiv, gehen Wendelin Jan Stark und seine Kollegen an der Eidgenössisch-Technischen Hochschule (ETH) Zürich vor. Sie haben eine Schutzfolie entwickelt, die aus verschiedenen Kunststoffschichten sandwichartig aufgebaut ist. Wabenförmige Hohlräume zwischen diesen Schichten sind gefüllt mit Wasserstoffperoxid und Mangandioxid. Das Mangandioxid ersetzt die Chemikalien und Enzyme, die der Bombardierkäfer einsetzt: Das Material ist billiger und haltbarer, und die Reaktion ist weniger explosiv.
Wird die Folie beschädigt und dabei die dünne Schicht Klarlack zwischen den Reaktionspartnern durchbrochen, quillt und spritzt ein heißer Schaum hervor. Bei der heftigen Reaktion entstehen Wasserdampf, Sauerstoff und eine Menge Hitze: Bis zu 80 Grad Celsius heiß wird der Schaum. Wie in der Natur sei auch im Labor nur wenig mechanische Energie nötig, um eine viel größere Menge chemischer Energie freizusetzen, erklären die Wissenschaftler. Sie vergleichen das Prinzip mit einer Sprengkapsel oder der elektrisch gezündeten Verbrennung in einem Motor.
Schutzfolie markiert Geldscheine und Räuber
Besonders für den Schutz von Geldautomaten und Geldtransporten könnte sich die neu entwickelte Folie gut eignen. Geldautomaten sind offenbar besonders schutzbedürftig: Sie werden immer häufiger geplündert, allein im ersten Halbjahr 2013 entstand ein Gesamtverlust von 10 Millionen Euro bei über 1.000 Angriffen. Die bisher gängigen Schutzvorrichtungen brauchen Strom und sind störanfällig. Ein Überzug mit der „selbstverteidigenden Oberfläche“ wäre eine gute Alternative, um Räuber und Vandalen abzuschrecken.
Die Züricher Forscher haben ihre Schutzfolie für diesen Zweck noch erweitert: Sie mischten einen Farbstoff und mit DNA präparierte Nanopartikel unter das Mangandioxid. Brechen Räuber eine so geschützte Geldkassette auf, werden die Geldscheine darin durch den Farbstoff markiert und unbrauchbar. Durch die DNA-Markierungen lassen sie sich außerdem zurückverfolgen. Laborexperimente mit 5-Euro-Banknoten zeigten, dass das Verfahren funktioniert. Außerdem können so auch die Geldräuber selbst markiert werden, genauso wie bei den jetzigen Schutzsystemen an den Automaten.
Einfache Ideen und High-Tech-Methoden
Aber nicht nur Geldautomaten, auch andere gefährdete Orte und Gegenstände soll die Schutzfolie mit selbstverteidigenden Oberflächen versehen: „Überall dort, wo etwas nicht angefasst werden sollte, wäre ein Einsatz denkbar“, sagt Stark. In Land- und Forstwirtschaft ließe sich beispielsweise verhindern, dass Tiere Bäume anknabbern. Die Kosten halten sich dabei in Grenzen: Etwa 30 Euro wird ein Quadratmeter der Schutzfolie kosten, schätzen die Forscher.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Stark und Kollegen einen Schutzmechanismus in der Natur abschauen: Äpfel, Pfirsiche und ähnliche Früchte schützen ihre Samen mit giftiger Blausäure vor Fraßfeinden. Die Züricher Wissenschaftler imitierten diesen Schutz, indem sie Weizensamen mit Substanzen umhüllen, bei deren Reaktion ebenfalls Blausäure entsteht. Allerdings sind die Ausgangsstoffe in verschiedenen Schichten voneinander getrennt und reagieren erst, wenn ein Pflanzenfresser in den Samen beißt. „Die Natur imitieren und einfache Ideen mit High-Tech-Methoden umsetzen“, fasst Stark das erfolgreiche Prinzip zusammen.
(Journal of Materials Chemistry A, 2014; doi: 10.1039/C3TA15326F )
(ETH Zürich, 14.04.2014 – AKR)