Physik

Starke Kernkraft überrascht Physiker

Unter extremem Druck verändert die Grundkraft ihre Wirkung auf die Kernbausteine

Atomkern
Die starke Kernkraft hält die Kernbausteine zusammen, doch unter extremem Druck verändert sie sich. © Adisonpk/ iStock.com

Erstaunlicher Wandel: Unter extremem Druck verändert die starke Kernkraft offenbar ihre Natur, wie nun ein Experiment aufgedeckt hat. Statt nur Neutronen und Protonen zusammenzuhalten, wirkt sie dann auch zwischen gleichartigen Kernbausteinen – und erzeugt dabei eine Abstoßung zwischen Neutronen. Diese erstmals nachgewiesene Transformation der starken Kernkraft könnte unter anderem erklären, warum Neutronensterne nicht kollabieren, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Die starke Kernkraft ist eine der vier Grundkräfte der Physik. Über ihre Kraftteilchen, die Gluonen, bindet sie die Quarks im Inneren der Protonen und Neutronen aneinander und hält auch die Kernbausteine im Atomkern zusammen. Experimente belegen zudem, dass die starke Kernkraft auch auf Antimaterie wirkt und dass sie bei Nukleonen im Inneren von Atomkernen möglicherweise eine etwas andere Unterstruktur von Quarks und Gluonen erzeugt als bei freien Neutronen oder Protonen.

Doch eine Frage blieb bislang noch offen: Wie wirkt die starke Kernkraft unter Extrembedingungen, wie sie beispielsweise in Neutronensternen herrschen? In diesen extrem dichten Sternenresten sind die Kernbausteine so stark komprimiert, dass der normale Abstand zwischen ihnen unterschritten wird und sie sich sogar teilweise überlappen. „Dies ist der erste Blick darauf, was mit der starken Kernkraft bei sehr kurzen Distanzen passiert“, erklärt Or Hen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Atomkerne unter Beschuss

Das Problem: Atomkerne so stark zu komprimieren wie in Neutronensternen ist experimentell schwierig. „Um diese Experimente durchzuführen, benötigt man Teilchenbeschleuniger mit unglaublich dichten Teilchenströmen“, erklärt Hen. Genau dies lieferte der Elektronenbeschleuniger CLAS am Jefferson National Laboratory in den USA. Dort wurden Elektronen in hoher Dichte auf Ziele aus verschiedenen Kohlenstoff-, Aluminium- und Eisen-Isotopen geschossen.

Unter Billionen von Kollisionen der Elektronen mit den Atomkernen waren einige, bei denen die Kerne so getroffen wurden, dass durch die Energie des Zusammenpralls Paare von Kernbausteinen ausgeschleudert wurden. Hen vergleicht diese hochenergetischen Paare mit „Neutronenstern-Tröpfchen“. Aus ihren Eigenschaften konnten die Forscher dann Rückschlüsse über den Abstand der Kernbausteine zueinander und den Effekt der starken Kernkraft ziehen.

Aus Anziehung wird Abstoßung

Das Ergebnis: Bei normalen Distanzen der Kernbausteine zueinander sorgt die starke Kernkraft primär für die Bildung von Paaren aus je einem Neutron und einem Proton. Werden die Abstände jedoch kürzer, kommt es zu einem Wandel. Nun bewirkt die Kernkraft auch, dass sich Paare aus gleichen Kernbausteinen bilden, Neutron-Neutron oder Proton-Proton, wie die Forscher berichten. Gleichzeitig aber erzeugt die Kernkraft in diesen Paarungen einen Abstoßungseffekt – sie versucht gleichsam, die durch die Kollision eng aneinander gedrängten Kernbausteine auf Abstand zu halten.

„Die Vorstellung einer abstoßenden Komponente in der starken Kernkraft wird schon länger als fast mystische Möglichkeit diskutiert“, sagt Erstautor Axel Schmidt vom MIT. Doch zuvor konnte diese abstoßende Seite der starken Kernkraft nie experimentell nachgewiesen werden. „Erst jetzt haben wir Daten, die uns diese Transformation vor Augen führen – das war wirklich überraschend“, so Schmidt.

Neuer Blick auf das Innenleben von Neutronensternen

Spannend ist die Entdeckung dieser neuen Seite der starken Kernkraft aber nicht nur für die Teilchen- und Kernphysik. Sie könnte auch neue Erkenntnisse darüber liefern, wie die Materie im Inneren der Neutronensterne beschaffen ist. „Bisher nahm man an, dass diese Systeme so dicht sind, dass sie als Suppe aus Quarks und Gluonen anzusehen sind“, erklärt Hen. Unter dem enormen Druck lösen sich demnach die Kernbausteine auf und die Materie nimmt einen Zustand an, wie er auch kurz nach dem Urknall im Universum herrschte.

„Doch wir haben nun festgestellt, dass die Protonen und Neutronen selbst bei den höchsten Dichten ihre Identitäten behalten und nicht zu diesem Sack voller Quarks werden“, so Hen. „Die Kerne von Neutronensternen könnten demnach weit einfacher sein als bisher gedacht. Das ist eine riesige Überraschung.“ Gleichzeitig könnte die unter diesen Extrembedingungen wirksam werdende abstoßende Seite der Kernkraft dafür sorgen, dass die Neutronen einen Mindestabstand behalten und der Neutronenstern damit nicht unter seiner eigenen Schwerkraft kollabiert. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2021-6)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology, DOE/Thomas Jefferson National Accelerator Facility

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