Astronomie

Stellarer Riese entpuppt sich als Ausreißer

Massereicher Stern wurde aus Sternenhaufen ausgeschleudert

„Ausreißer“-Stern © NASA, ESA and Z. Levay (STScI). Science Credit: NASA, ESA, C. Evans (Royal Observatory Edinburgh), N. Walborn (STScI) and ESO

Er rast mit mehr als 400.000 Kilometern pro Stunde durch das Weltall, ist extrem heiß und massereich und passte lange Zeit in kein Schema: Der Stern 30 Dor #016. Jetzt haben ihn Astronomen als „Ausreißer“ identifiziert – als stellaren Riesen, der durch einen noch schwereren aus seinem heimischen Sternenhaufen ausgeschleudert wurde. Die in „The Astrophysical Journal Letters” veröffentlichten Erkenntnisse eröffnen ein ganz neues Bild zum Verhalten massereicher Sterne und auch zum Ort des Geschehens, dem Tarantelnebel.

Der Tarantelnebel, auch 30 Doradus genannt, ist eine der Sternenwiegen des Universums. 170.000 Lichtjahre von der Erde entfernt liegt er in der Nähe der Großen Magellanschen Wolke, einem der galaktischen Nachbarn der Milchstraße. Inmitten des Tarantelnebels stießen Astronomen bereits 2006 auf einen Stern, der nicht ins übliche Bild passte: Er ist außergewöhnlich heiß, blauweiß-leuchtend und extrem massereich, dabei aber weit von jedem Sternenhaufen entfernt, in dem sich solche massereichen Sternen normalerweise finden.

2009 lieferte das Weltraumteleskop Hubble weitere Hinweise zur ungewöhnlichen Natur des 30 Dor #016 getauften Sterns, als das Hubble-Serviceteam diesen wegen seiner Helligkeit zum Kalibrieren des UV-Spektrometers nutzte. Dabei stellte sich heraus, dass 30 Dor #016 einen wahren Sturm von geladenen Teilchen ausstößt – ein klares Anzeichen für eine Masse mehr als 90-fach größer als die der Sonne. Da Sterne dieser Masse normalerweise nur wenige Millionen Jahre leben, musste auch dieser noch sehr jung sein. Aber woher stammte er? Denn er konnte nicht an Ort und Stelle, weit entfernt von jedem nährenden Staub- und Gasnebel gebildet worden sein.

Ausreißer aus Sternenhaufen

Eine erste Spur ergab sich aus einer älteren Aufnahme des Hubble-Teleskops aus dem Jahr 1995, die 30 Dor #016 am Ende einer eiförmigen, von leuchtenden Säumen umgebenen Spur zeigte. Das Ende der Spur wies direkt auf den Sternenhaufen R136 im Nebel 30 Doradus. Astronomen der Europäischen Südsternwarte nahmen daraufhin in diesem Jahr den Stern mit Hilfe der spektroskopischen Instrumente am Very Large Telescope (VLT) in Chile erneut ins Visier – und lösten das Rätsel.

Die Beobachtungen enthüllten, dass sich der Stern mit konstanter Geschwindigkeit von rund 400.000 Kilometern pro Stunde vom Sternenhaufen R 136 weg bewegt. Die Geschwindigkeitsdaten entsprechen weder der normalen Sternenbewegung noch der von einem Doppelsternsystem. Demnach muss 30 Dor #016 ein echter Ausreißer sein – ein Stern, der ursprünglich in dem Sternenhaufen entstand, dann aber durch einen ungewöhnlichen Prozess aus dem Nebel herausgeschleudert wurde. Rund 375 Lichtjahre ist er inzwischen von seiner wahrscheinlichen Heimat entfernt.

Tarantelnebel © NASA, ESA, J. Walsh (ST-ECF)

Supernova oder „Schleuderball“?

Prinzipiell können solche Ausreißer-Sterne auf mehreren Wegen entstehen. Ein Stern kann in einem massereichen, dichten Sternenhaufen einem oder mehreren massereicheren „Artgenossen“ zu nahe kommen und durch deren Schwerkraftwirkung aus seiner Bahn geschleudert werden. Oder aber er kann Teil eines Doppelsternsystems sein und plötzlich explodiert sein massereicherer Kompagnon in einer Supernova. Der Explosionsdruck schleudert ihn dann weit hinaus ins All.

Aber welches Szenario passt? Nach Ansicht der Astronomen ist das erstere das Wahrscheinlichere: „Es ist allgemein akzeptiert, dass R136 so jung ist, dass die massereichsten Sterne im Haufen noch nicht als Supernova explodiert sind“, erklärt Danny Lennon vom Space Telescope Science Institute in Baltimore. „Das deutet darauf hin, dass der Stern durch dynamische Wechselwirkungen herausgeschleudert worden sein muss.“

Labor für stellare Riesen

Diese Erkenntnis liefert den Astronomen wertvolle Einblicke in das Verhalten massereicher Sterne. „Die Ergebnisse sind spannend, weil solche dynamischen Prozesse in sehr dichten, massereichen Clustern schon seit längerem theoretisch vorhergesagt worden sind“, erklärt Nolan Walborn vom Space Telescope Science Institute. „Dies ist jetzt die erste direkte Beobachtung dieses Prozesses in einer solchen Region. Weniger massereiche Ausreißer aus dem sehr viel kleineren Orionnebel sind schon vor mehr als einem halben Jahrhundert bekannt, aber dies ist die erste potenzielle Bestätigung für die massereichsten jungen Cluster.“ Der Sternenhaufen R136 enthält gleich mehrere extrem massereiche Sterne von mehr als 100 Sonnenmassen. Der Tarantelnebel könnte sich damit als einzigartiges Labor für das Studium solcher stellaren Riesen entpuppen.

Nicht der einzige Ausreißer

Zudem ist 30 Dor #016 möglicherweise nicht der einzige seiner Art in dieser Region. Die Astronomen haben inzwischen zwei weitere extrem heiße, massereiche Sterne an den Rändern des Nebels ausgemacht, die sie ebenfalls für Ausreißer halten. Weitere Untersuchungen sollen nun klären, ob 30 Doradus möglicherweise sogar eine ganze Serie von massereichen Ausreißern in seine kosmische Nachbarschaft katapultiert.

Das weitere Schicksal von 30 Dor #016 können die Astronomen dagegen gut einschätzen. Er wird vermutlich weiterhin durch das All rasen und dann, am Ende seines nach stellaren Maßstäben kurzen Lebens von einigen Millionen Jahren, als gewaltige Supernova explodieren. Zurück bleibt dann nur noch ein Schwarzes Loch.

(ESA, 14.05.2010 – NPO)

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