
Sternströme um die Spiralgalaxie M 63: Überreste einer kleineren Satellitengalaxie, die sich M 63 einverleibt hat. In der Bildmitte ein herkömmliches positives Bild; die äußeren Regionen sind als Bildnegativ gezeigt, damit die schwach leuchtenden Strukturen, nach denen in dieser Durchmusterung gesucht wurde, klarer hervortreten. M 63 ist rund 30 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Mit dieser Durchmusterung ist es erstmals gelungen, Spiralgalaxien, die sich kleinere Satellitengalaxien einverleiben, jenseits unserer “lokalen Gruppe” von Galaxien nachzuweisen. © D. Martínez-Delgado (MPIA)
Galaktische Verdauungsprozesse nachgewiesen
Jetzt ist es einer neuen Durchmusterung jedoch erstmals gelungen, die galaktischen Verdauungsprozesse jenseits der lokalen Gruppe nachzuweisen. Eine internationale Forschergruppe unter der Leitung von David Martínez-Delgado vom Max-Planck-Institut für Astronomie und Instituto de Astrofísica de Canarias hat ein Pilotprojekt zur Durchmusterung von Spiralgalaxien in bis zu 50 Millionen Lichtjahren Entfernung durchgeführt und dabei Spuren von Spiralgalaxien gefunden, die Zwerggalaxien verspeist haben.
Kommt eine kleinere Galaxie – etwa eine Zwerggalaxie – einer Spiralgalaxie zu nahe, dann führt die ungleichmäßige Gravitationsanziehung der größeren Galaxie dazu, dass das kleinere Sternsystem massiv verzerrt wird. Über einige Milliarden Jahre hinweg entwickeln sich verräterischen Sternranken, die durch genaue Beobachtung nachgewiesen werden können.

Eine der bei der Durchmusterung untersuchten Galaxien, NGC 4651, weist eine bemerkenswerte regenschirmartige Struktur auf. Dabei handelt es sich um Sternströme: um die Überreste einer kleineren Satellitengalaxie, die NGC 4651 angezogen und zerrissen hat. NGC 4651 ist 35 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Mit dieser Durchmusterung ist es erstmals gelungen, Spiralgalaxien, die sich kleinere Satellitengalaxien einverleiben, jenseits unserer lokalen Gruppe von Galaxien nachzuweisen. © R. Jay Gabany (Blackbird Obs.) in Zusammenarbeit mit D. Martínez-Delgado (MPIA und IAC) et al.
Ein „Gezeitenstrom“ aus Sternen
Ein typisches Resultat ist, dass die kleinere Galaxie zu einem länglichen „Gezeitenstrom“ aus Sternen verformt wird, dessen Sterne sich im Laufe der nachfolgenden weiteren Milliarden Jahre komplett mit den Sternen der größeren Galaxie vermischen. Die neue Studie zeigt, dass größere Gezeitenströme mit einer Masse zwischen einem und fünf Prozent der Gesamtmasse der Galaxie in Spiralgalaxien recht häufig vorkommen.
Detaillierte Simulationen zur Evolution von Galaxien sagen sowohl die Gezeitenströme als auch eine Reihe anderer gut erkennbarer Spuren von Verschmelzungen voraus, etwa gigantische Wolken oder jetähnliche Strömungen, die aus der galaktischen Scheibe hervortreten. Interessanterweise finden sich den Wissenschaftlern zufolge in den neuen Beobachtungen all diese verschiedenen Arten von Spuren – ein beeindruckender Beleg dafür, dass die Astronomen mit ihren Modellen der Galaxienentwicklung auf dem richtigen Wege sind.
Wechselwirkungen zwischen Galaxien im Visier
Die Bilder von Delgado und seinen Kollegen, die extrem tief in den Weltraum blicken, läuten eine neue Runde von systematischen Studien der Wechselwirkungen zwischen Galaxien ein. Der nächste Schritt des Forscherteams besteht darin, eine derzeit laufende genauere Durchmusterung zu vollenden, mit deren Hilfe sich die Modelle zur Galaxienevolution dann auch quantitativen Tests unterziehen lassen. Beispielsweise sollte diese neue Durchmusterung zeigen, ob die Simulationen die relativen Häufigkeiten der verschiedenen Arten von Verschmelzungsspuren korrekt vorhersagen.
Teleskope von Amateurastronomen im Einsatz
Erstaunlicherweise wurden diese erstklassigen neuen Ergebnisse mit den Teleskopen ehrgeiziger Amateurastronomen gewonnen: Für ihre Beobachtungen nutzten die Astronomen Teleskope mit Öffnungsdurchmessern zwischen zehn und 50 Zentimetern, ausgerüstet mit handelsüblichen CCD-Kameras. Es handelt sich um robotische Teleskope in zwei Privatsternwarten in den USA und einer Privatsternwarte in Australien.
Die Ergebnisse zeigen nach Angaben der Astronomen, was sich mit systematischer Arbeit an kleineren Instrumenten erreichen lässt. Während größere Teleskope zweifelsfrei besser darin sind, sehr weit entfernte, aber vergleichsweise helle Sternensysteme – etwa aktive Galaxien – nachzuweisen, hat diese Durchmusterung so tief wie bislang nur möglich in die Welt der herkömmlichen Spiralgalaxien geblickt, also der Geschwister unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße.
(idw – Max-Planck-Institut für Astronomie, 08.09.2010 – DLO)
8. September 2010