Von der Natur abgeschaut: Forscher haben einen Superklebstoff nach dem Vorbild von Miesmuscheln hergestellt. Dafür programmierten sie Darmbakterien so um, dass sie ein Haftprotein produzieren, mit dem sich die Muscheln normalerweise am Meeresboden festhalten. Der Clou: Die Klebewirkung der Substanz lässt sich mit Licht punktgenau anschalten. Angewendet werden könnte der biologische Leim künftig zum Beispiel zum Kleben von gebrochenen Knochen.
Miesmuscheln siedeln sich mit Vorliebe in den turbulenten Gezeiten- und Schelfbereichen des Meeres an. Dort müssen sie starken Strömungen und dem Salzwasser standhalten. Eine echte Herausforderung. Denn überleben können die Muscheln nur, wenn sie fest genug am Untergrund haften. Dank eines genialen Patents der Natur gelingt ihnen das jedoch selbst unter solch widrigen Bedingungen problemlos.
Ihr Geheimnis: Die Muscheln produzieren einen Kleber, den sie in Form von sogenannten Byssusfäden an ihren Füßen ausscheiden. Der wichtigste Bestandteil dieses Proteinklebers ist die Aminosäure 3,4-Dihydroxyphenylalanin, kurz „DOPA“ genannt. Sie reagiert unter Bedingungen, wie sie im Meerwasser herrschen, zu einer quervernetzten Molekülmatrix und ermöglicht es den Tieren, sich an beinahe jeder Oberfläche festzuhalten.
Bakterien als Chemiefabrik
Die erstaunlichen Klebeeigenschaften der von den Muscheln produzierten Substanz sind auch für die Medizin interessant. Denn Wissenschaftler suchen schon länger nach biokompatiblen Klebstoffen, die eines Tages Nadel, Faden, Platten und Schrauben ersetzen und zum Beispiel Knochenfragmente zusammenkleben könnten. Doch die Isolierung des Bio-Leims aus Muscheln und anderen natürlichen Quellen ist ineffizient, teuer und mit Leid für die Tiere verbunden. Eine elegante Alternative wäre es daher, den Klebstoff künstlich herzustellen.
Forschern um Matthias Hauf von der Technischen Universität Berlin ist dies nun mithilfe von Darmbakterien gelungen: Sie programmierten Stämme des Keims Escherichia coli so um, dass mit deren Hilfe der biologische Unterwasserklebstoff von Miesmuscheln hergestellt werden kann. „Die Darmbakterien sind sozusagen unsere Chemiefabrik, mit der wir den Superleim produzieren“, sagt Haufs Kollege Nediljko Budisa.
Aktiviert durch Licht
Als erstes führten die Wissenschaftler dazu in Escherichia coli ein speziell verändertes Enzym ein. Anschließend fütterten sie die so veränderten Bakterien mit der Aminosäure ONB-DOPA. In dieser Verbindung sind die für die starke Klebewirkung verantwortlichen Dihydroxyphenyl-Gruppen geschützt und somit inaktiv. Das ist ähnlich wie bei einem Aufkleber, dessen Selbstklebefläche mit einer Schutzfolie versehen ist, wie das Team erklärt. Das umprogrammierte Bakterium baut nun diese mit Schutzfolie versehene Aminosäure in selbstproduzierte Proteine ein, und man erhält ein Haftprotein.
Der Clou: Die Klebestellen dieses Proteins sind so lange geschützt, bis sie durch Licht in einer bestimmten Wellenlänge aktiviert werden. Das Haftprotein verliert dadurch – bildlich gesprochen – seine Schutzfolie, seine Klebestellen werden aktiv und das Protein kann zielgerichtet als Klebstoff verwendet werden.
Neue Möglichkeiten für Medizin und Industrie
Dadurch ergeben sich den Forschern zufolge lang ersehnte Möglichkeiten, beispielsweise zum Kleben von gebrochenen Knochen oder Zähnen. „Diese Strategie bietet neue Wege zur Herstellung von DOPA-basierten Nassklebstoffen für die Anwendung in Industrie und Biomedizin mit dem Potential, Knochenchirurgie und Wundheilung zu revolutionieren“, schließt Hauf überzeugt. Zur Verwirklichung dieser Geschäftsidee ist nun eine Firmengründung geplant. (ChemBioChem, 2017; doi: 10.1002/cbic.201700327)
(Technische Universität Berlin, 14.11.2017 – DAL)