Noch befindet sich der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger der Welt beim Forschungszentrum CERN in Bau. Doch schon im nächsten Jahr soll dieser Detektor am „Large Hadron Collider LHC“ Bedingungen schaffen, wie sie Sekundenbruchteile nach dem Urknall herrschten. Auch deutsche Forscher sind an diesem Großprojekt beteiligt. Ihr Beitrag, 88 Detektormodule von bis zu zwei Meter mal vier Meter Größe, wurde nun erfolgreich in die ATLAS-Messanlage am CERN eingebaut.
„Diese Module sind Bestandteil des Myon-Spektrometers“, berichtet Professor Otmar Biebel von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Das Gerät ist 40 Meter lang und hat einen Durchmesser von 20 Metern. Trotzdem können wir darin die Flugbahn von Myonen mit einer Genauigkeit von 0,1 Millimeter messen.“ Diese Partikel gehören zu den kleinsten bekannten Teilchen. Myonen sind in ihren Eigenschaften den Elektronen ähnlich, also auch negativ geladen, aber viel schwerer. Sie entstehen bei hochenergetischen Kollisionen zwischen Protonen im „Large Hadron Collider LHC“ beim CERN – und insbesondere auch als Folge der Erzeugung anderer Elementarteilchen.
Mehrzweck-Experimentalaufbau
Doch noch sind mehr als 1.800 Forscher aus 35 Ländern damit beschäftigt, den neuen Detektor ATLAS („A Toroidal LHC ApparatuS“) beim Forschungszentrum CERN in Genf aufzubauen. „Mit dem Myon-Spektrometer erhält ATLAS also eine herausragende Komponente, um die Physik der Elementarteilchen zu erforschen“, so Biebel. „An der gesamten Messanlage kann aber natürlich eine sehr große Anzahl von Experimenten gemacht werden. Im Grunde handelt es sich um einen Mehrzweck-Experimentalaufbau, zu dessen Realisierung viele Gruppen beigetragen haben und noch weiterhin beitragen werden.“
Über 15 Jahre hinweg haben die Wissenschaftler ATLAS konzipiert, simuliert, optimiert, dann die Einzelkomponenten aufgebaut und getestet. Jetzt aber kommen sie in die entscheidende Phase der Inbetriebnahme. 2007 soll das umfassende und langjährige Experimentierprogramm mit der ATLAS-Messanlage beginnen und Zugang zu ganz fundamentalen Fragen bieten. Es geht um die physikalischen Grundlagen der Materie, von Raum und Zeit, und auch das Verständnis des Ursprungs von Masse nach dem so genannten Higgs-Mechanismus.
Daneben soll auch Supersymmetrie, also die neuartigen und grundlegenden Symmetrien von Materie und Kräften, beobachtet werden. Mit Hilfe von ATLAS wird auch den in der Stringtheorie postulierten zusätzlichen, verborgenen Raumdimensionen nachgespürt werden. Die experimentellen Messungen werden, so hoffen die Forscher, Antworten geben auf die vielfältigen Fragen zur Physik der fundamentalen Elementarteilchen bei Bedingungen, die sehr kurz nach Beginn des Universums herrschten. Das soll zu neuen Erkenntnissen und zu einem tieferen Verständnis von Ursprung und Struktur unseres Kosmos liefern.
Computer-Modelle und die Physik des Top-Quarks
Die Fragestellungen sind also sehr weit gestreut, und auch an der LMU gibt es unterschiedliche Interessen. Professor Dorothee Schaile vom Lehrstuhl für experimentelle Teilchenphysik der Universität München und Professor Otmar Biebel bearbeiten das Projekt gemeinsam, wenn auch mit anderen Schwerpunkten. „Professor Schaile ist beispielsweise an dem komplexen, weltumspannenden Computing-Modell für ATLAS engagiert, während ich mich um den Aufbau und Test der Detektormodule gekümmert habe“, so Biebel. „Bei den Messungen und Analysen werde ich mich dann unter anderem auf die Physik des Top-Quarks konzentrieren.“
Quarks gehören ebenfalls zu den Elementarteilchen. Das Top Quark ist dabei der schwerste Vertreter und kann nur unter erheblichem Energieaufwand erzeugt werden. Möglicherweise beantwortet die Wechselwirkung dieser besonderen Teilchen einige Fragen zu ihrer Natur. Bestimmte Analysen könnten auch dazu beitragen, dem Higgs-Boson auf die Spur zu kommen. Die Entdeckung dieses Teilchen ist eines von Frau Schailes Forschungszielen beim ATLAS-Experiment. Denn das immer noch mysteriöse Higgs-Boson wurde bislang nur als Ergänzung der anderen Teilchen theoretisch vorhergesagt – nachgewiesen wurde es bislang noch nicht.
(Ludwig-Maximilians-Universität München, 26.07.2006 – AHE)