Das neu entwickelte Deutsch-Indonesische Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean GITEWS (German Indonesian Tsunami Early Warning System) wird heute mit einem Festakt in Jakarta offiziell eingeweiht und nimmt seinen Betrieb auf. Wie vorgesehen, erfolgt pünktlich rund vier Jahre nach der Tsunami-Katastrophe von 2004 die Übergabe an den Meteorologischen, Klimatologischen und Geophysikalischen Dienst Indonesiens (BMKG).
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„Wir freuen uns, genau nach Zeitplan heute das Tsunami-Frühwarnsystem in Funktion zu setzen“, erklärt Professor Reinhard Hüttl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ, das die Federführung des Projektes übernommen hatte. Neben dem GFZ sind unter anderem das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und das GKSS-Forschungszentrum Geesthacht an GITEWS beteiligt. Die Mittel in Höhe von 45 Millionen Euro stammen aus dem Beitrag der Bundesregierung im Rahmen der Flutopferhilfe.
Ein Naturereignis wie der Tsunami von 2004 kann nicht verhindert werden und solche Katastrophen werden auch bei einem perfekt arbeitenden Alarmsystem weiterhin ihre Opfer fordern. Aber die Auswirkungen einer solchen Naturkatastrophe können mit einem Frühwarnsystem minimiert werden. Das ist das Ziel von GITEWS.
„Durch dieses Frühwarnsystem gewinnen die Menschen etwa 20 Minuten Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen, wir hoffen, dass es viele Leben retten wird“, erklärt GFZ-Wissenschaftler Jörn Lauterjung, der Projektkoordinator von GITEWS.
In den kommenden zwei Jahren begleiten die deutschen Wissenschaftler noch den Betrieb und die Optimierung des Systems, im Anschluss daran wird es von den indonesischen Partnern alleine weitergeführt.
Schnelle Bestimmung von starken Erdbeben
Neue wissenschaftliche Verfahren und neuartige Technologien unterscheiden dieses System von den bisherigen Tsunami-Warnsystemen. Denn aufgrund der speziellen geologischen Situation vor Ort sind die bisher benutzten Systeme, wie etwa das Pazifische Tsunami-Warnsystem, für Indonesien nicht optimal geeignet. Die Erdbeben vor Indonesien entstehen entlang einer Subduktionszone, dem Sundagraben, der sich bogenförmig von der Nordwestspitze Sumatras bis Flores im Osten Indonesiens erstreckt.
Entsteht hier ein Tsunami, laufen die Wellen im Extremfall innerhalb von 20 Minuten an der Küste auf, so dass nur sehr wenig Zeit für eine Frühwarnung bleibt. Diese Randbedingung lag daher der Konzeption des gesamten Systems zugrunde.
So werden in dem Frühwarnsystem neue Verfahren der schnellen und sicheren Bestimmung von starken Erdbeben, der Tsunami-Modellierung und der Lagebeurteilung eingesetzt. Insbesondere die direkte Einbeziehung einer Vielzahl von unterschiedlichen Sensorsystemen zur sicheren Erfassung eines Tsunami stellt nach Angaben der Wissenschaftler eine enorme Herausforderung dar.
Fortschritte in der Seismologie
Mehr als 90 Prozent aller Tsunamis entstehen durch starke Erdbeben. Die Katastrophe vom Dezember 2004 war mit einer Magnitude von 9,3 das zweitstärkste je gemessene Beben. Eine Viertelstunde nach dem Beben erreichte der Tsunami die Provinz Banda Aceh und riss allein hier mehr als 140.000 Menschen in den Tod. Insgesamt starben ungefähr eine Viertelmillion Menschen.
Eine zügige und exakte Bestimmung der Erdbebenparameter (Ort, Bebenstärke, Herdtiefe) ist daher essenziell für ein schnelles Tsunami-Frühwarnsystem. Ein dichtes Messnetz verkürzt einerseits die Laufzeit der Erdbeben-Welle zum Messgerät. Andererseits aber ist es äußerst schwierig, die Signale von starken Beben im Nahfeld aufzuzeichnen und auszuwerten.
Für GITEWS wurden deshalb neuartige Mess- und Auswertungsverfahren entwickelt. SeisComP3 nennt sich das von Wissenschaftlern des GFZ entwickelte Softwareprogramm, das aus den aufgezeichneten Signalen in Minutenschnelle die Lage und Stärke eines Bebens ermittelt. So konnten bereits mehrere starke Erdbeben innerhalb von gut zwei Minuten erfasst und ihre Parameter bestimmt werden. Das gesamte seismologische Netz in Indonesien verfügt derzeitig über 120 Stationen.
Diese Auswertesoftware setzt nach Angaben der Forscher weltweit neue Maßstäbe. SeisComp3 wird mittlerweile auch von anderen Anrainerstaaten des Indischen Ozeans verwendet, beispielsweise beim Indischen Frühwarnsystem. Aber auch auf den Malediven, in Pakistan, Thailand und Südafrika wird diese Software bereits eingesetzt, weitere Länder werden in nächster Zeit folgen.
Pegelmessung und Deformation
Tsunamis breiten sich in tiefem Wasser mit der Geschwindigkeit von Düsenflugzeugen aus. Erst im flachen Wasser werden sie langsam, türmen sich allerdings an den Küsten zu Wellenhöhen von bis zu 30 Metern auf. Deshalb ist es wichtig, an geeigneten Standorten, zum Beispiel auf vorgelagerten Inseln, einen Tsunami mit einem Küstenpegel bereits zu erfassen, bevor die Welle auf das Festland aufläuft.
Im Indischen Ozean wurden durch das GITEWS-Projekt im Rahmen eines von der Intergovernmental Oceanographic Commission (IOC) der UNESCO koordinierten Netzwerkes bereits neun Pegelstationen aufgebaut. Damit stehen nicht nur an der Küste Indonesiens, sondern auch in den Anrainerstaaten des Indischen Ozeans verlässliche Pegeldaten zur Verfügung. Die Daten liegen in frei zugänglichen Datenbanken bereit.
Während des Katastrophenbebens von 2004 ließ sich laut dem GFZ ein horizontaler und vertikaler Bodenversatz von mehreren Dezimetern bis Metern noch in einer Entfernung von einigen hundert Kilometern vom Beben nachweisen. Die Richtung dieser beben-bedingten Verschiebung gibt aber Hinweise auf den Mechanismus des Erdbebenbruchs und damit auf das mögliche Tsunamipotential und die zu erwartende Gefährdung.
Um den vertikalen und horizontalen Versatz umgehend bestimmen zu können, wurden alle Pegelstationen im GITEWS zusätzlich mit GPS-Antennen ausgerüstet – auch dieses eine völlig neue Komponente eines Tsunami-Warnsystems.
GPS-Boje: Ein neues Messinstrument für Tsunamis
Nicht jedes Erdbeben erzeugt einen Tsunami. Daher muss auf dem Meer gemessen werden, ob ein Erdbeben die tödliche Welle auf den Weg geschickt hat. Üblicherweise werden dazu Unterwassermesseinheiten verwendet, die mithilfe eines Druckmessgerätes einen Tsunami erfassen.
Läuft ein Tsunami über die Drucksonde hinweg, werden die Daten zu einer Boje an der Meeresoberfläche gesendet und von dort aus ans zentrale Warnzentrum weitergeleitet. Liegen die Unterwassereinheiten zu nahe am Bebenherd, kann das Messgerät nicht zwischen der Beben- und einer Tsunamiwelle unterscheiden und löst möglicherweise einen Fehlalarm aus.
Es lag deshalb nach Angaben des GFZ nahe, die Bojen nicht nur als Relaisstation, sondern als eigenständiges Messgerät zur Tsunami-Erfassung zu entwickeln. GFZ-Wissenschaftler nutzten bereits GPS-Antennen auf Bojen zur Bestimmung von Seegang und Meereshöhen. Im GITEWS findet dieses neuartige Verfahren nun auch Anwendung zur Erkennung von Tsunami-Wellen, die im freien Ozean bei Laufgeschwindigkeiten von 800 Kilometer pro Stunde und Wellenlängen von 200 Kilometern allerdings noch recht flach sind. Innovative Mess- und Filterverfahren erlauben, den normalen Seegang auszublenden. Übrig bleibt eine zentimetergenaue Erfassung des Meeresspiegelanstiegs und damit auch die frühzeitige Erkennung eines Tsunami. Von den geplanten zehn deutschen Bojensystemen sind derzeit bereits zwei ausgebracht. Weitere vier liegen bereit zur Installation im Hafen von Jakarta.
Simulationen
Da das Sensornetz Daten jeweils nur an einigen wenigen Punkten liefert, werden Simulationen benötigt, um ein ganzheitliches Lagebild zu synthetisieren. So können mit Hilfe von Computermodellen zur Ermittlung von Ankunftszeiten und Wellenhöhen sowie Informationen über die Besiedelungs- und Infrastruktur schnell Risikoabschätzungen getroffen werden, die die Warnentscheidung unterstützen.
Aufgrund der extrem kurzen Vorwarnzeit werden die Computersimulationen mit Hilfe der neuartigen, auf unstrukturierten Dreiecksgittern basierenden Software TsunAWI vorausberechnet. Diese am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung entwickelte Modellierung stellt die Wellenausbreitung und die Überflutung an Land in bislang einmaliger Weise detailliert und präzise dar. Eine Vielzahl von Szenarien deckt die möglichen Tsunami-Ereignisse ab, so dass im Ernstfall immer ein vorberechnetes Szenario derart exakt mit den Messdaten übereinstimmt, dass es als Beschreibung der realen Lage dienen kann.
Die Datenbank, in der die eingehenden verschiedenartigen Messdaten mit mathematischen Methoden bewertet und mit den Szenarien in Beziehung gesetzt werden – das so genannte Matching -, stellt laut dem GFZ eine weltweite Innovation dar. Da sich Daten aus den verschiedenen Messystemen ergänzen, kann innerhalb von Sekunden ein präzises Matching vorgenommen und eine genaue Lagebeschreibung ermittelt werden.
Die im Verlaufe eines Tsunami-Ereignisses immer vollständigere und bessere Datenlage stabilisiert und verfeinert die Lagebeschreibung kontinuierlich.
Warnzentrum und Entscheidungsunterstützung
Alle verfügbaren Daten, Informationen und Modellierungen fließen letztlich in einem so genannten Entscheidungs-Unterstützungssystem (DSS = Decision Support System) zusammen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR hat dieses System entwickelt, mit dessen Hilfe entschieden wird, ob ein Tsunami-Alarm ausgelöst wird oder nicht.
Im DSS laufen alle Sensordaten zusammen, von hier aus werden alle Instrumente kontrolliert und gesteuert und hier erfolgt die Synthese aller Daten mit den vorberechneten Simulationen sowie die Erstellung der Warnmeldung. Der diensthabende Verantwortliche kann sich auf der Basis der vorliegenden Informationen sehr schnell einen Überblick über die Situation verschaffen und Entscheidungsvorschläge generieren.
Das Lagebild wird zusammen mit den Handlungsempfehlungen auf mehreren Monitoren angezeigt. Das DSS ist auf den Einsatz im Krisenfall zugeschnitten und so gestaltet, dass auch unter hohem Zeitdruck und Stress schnell und zuverlässig Entscheidungen getroffen werden können. Umfangreiche Datenbanken halten neben allgemeinen Geodaten insbesondere vorprozessierte Risikoinformationen und Gefährdungskarten bereit. Das hier aufgebaute System ist konzeptionell und von der Komplexität mit keinem anderen System weltweit vergleichbar, so das GFZ.
GITEWS ist von Beginn als integrierendes System entwickelt worden, in das nicht nur die Daten der deutschen Sensorsysteme, sondern auch die Sensordaten aus Indonesien und den anderen Geberländer einlaufen. Daher basieren alle Schnittstellen zu den Sensor- und Disseminationssystemen auf internationalen Standards, um ein vernetztes und gleichzeitig offenes System zu gewährleisten.
Capacity Building
Für den technischen Betrieb, die Wartung des Instrumentariums und die Weiterentwicklung des Systems müssen Wissenschaftler und technisches Personal aus- und weitergebildet werden. Dieses geschieht bereits parallel zum Aufbau des Systems durch Ausbildung von indonesischen Wissenschaftlern und Ingenieuren in Deutschland, sowie durch vielfältige Trainingsprogramme in Indonesien zu verschiedenen Teilkomponenten des Frühwarnsystems.
GITEWS arbeitet eng mit den für die Frühwarnung verantwortlichen Behörden zusammen, um die Warnmeldungen in klare Entscheidungsgrundlagen, Entscheidungshilfen und Handlungsanweisungen umzusetzen und diese bis an die Bevölkerung in schnellstmöglicher Zeit weiter zu geben (Warn- und Reaktionskette). Diese Schnittstelle ist entscheidend für ein Frühwarnsystems und stellt eine enorme Herausforderung insbesondere für die Lokalregierungen auf Distriktebene dar, da die Verantwortung hierfür in ihren Händen liegt.
Im Rahmen der nationalen Zuständigkeiten im Falle von Naturkatastrophen wurde in Indonesien begonnen, einen passenden gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Die Einführung einer Tsunami-Frühwarnung auf der lokalen Ebene erfordert die Entwicklung von Vorbereitungsplänen. Deren Entwicklung, insbesondere für Ballungsgebiete wie Padang oder Süd-Bali, müssen auf wissenschaftlich fundierten Risikoanalysen, aber auch auf politischen Abstimmungsprozessen basieren. Dazu gehören auch Aktivitäten des Katastrophenschutzes und präventive Maßnahmen wie Baunormen oder die Erstellung von Flächennutzungsplänen.
Der wohl wichtigste Aspekt der Frühwarnung betrifft die eigentliche Zielgruppe der Frühwarnung, nämlich die Bevölkerung in den gefährdeten Regionen. Damit bei den extrem kurzen Frühwarnzeiten überhaupt wirksame Maßnahmen ergriffen werden können, muss das Bewusstsein über die latente Gefährdung und mögliche präventive Schutzmaßnahmen bei der Bevölkerung geweckt und gestärkt werden (Awareness), und es muss dafür gesorgt werden, dass im Alarmfall die Bevölkerung die richtige Reaktion zeigt (Preparedness).
Dies wird durch regelmäßige Evakuierungsübungen und Informationsveranstaltungen sowie durch die ständige Vermittlung des Sachverhalts im Schulunterricht erreicht.
Internationales Konsortium
Für den Aufbau des Frühwarnsystems in Indonesien wurden verschiedene Kooperationen zu anderen Geberländern, wie Japan, China, Frankreich und die USA, eingegangen, um nicht nur die Daten der deutschen und indonesischen Komponenten zu integrieren, sondern alle verfügbaren Sensoren. Zwar haben sich die deutschen Aktivitäten im Wesentlichen auf Indonesien konzentriert, aber auch in den Anrainerstaaten Sri Lanka, den Malediven, Jemen, Iran, Kenia, Tansania und Südafrika wurden bereits Komponenten und Sensortechnik aufgebaut und Software installiert.
Die Integration des deutsch-indonesischen Beitrags und der Beiträge weiterer Anrainerstaaten zu einem Gesamtsystem für den Indischen Ozean erfolgt unter der Koordination der Zwischenstaatlichen Ozeanografischen Kommission (IOC) der UNESCO. Zusätzlich gibt es Bestrebungen zum Aufbau eines globalen Frühwarnsystems an dem nicht nur Arbeitsgruppen des Indischen Ozeans, sondern auch des NO-Atlantiks, des Mittelmeeres, der Karibik und des Pazifischen Ozeans mitwirken.
Aktuelle Aufgaben
Der Aufbau und Einsatz des komplexen GITEWS in einem tektonisch komplizierten Gebiet war und ist wissenschaftlich, technisch und organisatorisch eine große Herausforderung. In der nun folgenden zweijährigen Projektphase erfolgt der wichtige Schritt der Systemoptimierung.
„Alle Komponenten sind aufgebaut, auch wenn das Sensornetzwerk noch weiter verdichtet werden muss“, sagt Hüttl. „Erst im täglichen Betrieb zeigt sich dann oft im Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten, wo und wie noch etwas justiert werden muss.“
Wie bei einem Schiffsneubau nach dem Stapellauf muss nun das Zusammenspiel der Komponenten optimiert, das Betriebspersonal geschult und trainiert und auftretende Probleme im Alltagsbetrieb behoben werden.
Bislang sind Einzelkomponenten wie das Erdbebenmodul im vorläufigen Warnzentrum des BMG in Jakarta im Einsatz gewesen. Mit der Fertigstellung eines Neubaus, dem erfolgten Einbau der notwendigen Kommunikations- und Rechnerhardware und der Installation aller Softwarekomponenten in den letzten Wochen, steht das System nun erstmals in seiner geplanten Form zur Verfügung.
(idw – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ / Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, 11.11.2008 – DLO)