Die Mischung macht’s: Forschende haben eine Metall-Legierung entdeckt, die selbst bei extremen Temperaturen weder weich wird noch bricht. Die Mischung aus Niob, Tantal, Titan und Hafnium bleibt auch beim Erhitzen auf gut 1.600 Grad fest und wird dennoch bei Minusgraden nicht spröde – eine für Metalle ungewöhnliche Merkmalskombination. Die Legierung könnte damit neue Anwendungsmöglichkeiten in Technik und Raumfahrt eröffnen, wie das Team in „Science“ berichtet. Doch was macht diese Legierung so stabil?
Ob in Kraftwerken, Maschinen oder in der Luft- und Raumfahrt – in vielen Technikbereichen werden Metallwerkstoffe benötigt, die selbst angesichts hoher Temperaturen und starker Kräfte stabil bleiben. Meist werden dafür Speziallegierungen verwendet, die einen hohen Schmelzpunkt besitzen und deren Atomgitter einer dauerhaften Verformung lange widerstehen kann. Allerdings werden diese Materialien dafür bei Kälte schnell spröde und brechen. Für kalte Bedingungen werden daher meist andere Legierungen eingesetzt, die besonders rissbeständig sind.
Schwächeln im unteren Bereich
Doch jetzt haben Forschende um David Cook vom Lawrence Berkeley National Laboratory (LBNL) eine Metalllegierung entdeckt, die beides kann: Sie bleibt bei hohen Temperaturen fest und bildet bei Kälte trotzdem keine Risse. Ausgangspunkt dafür waren Experimente mit sogenannten refraktären Hoch-Entropie-Legierungen (RHEA). Dabei handelt es sich um Materialien, in denen mehrere Metalle mit hohem Schmelzpunkt zu nahezu gleichen Teilen miteinander vermischt sind.
„Unser Team arbeitet schon länger mit solchen Legierungen und wir haben immer wieder festgestellt, dass diese Materialien zwar sehr hitzestabil sind, aber eine extrem geringe Rissbeständigkeit besitzen“, erklärt Cooks Kollege Punit Kumar. Bei Kälte gehören sie sogar zu den bruchempfindlichsten Metallen überhaupt.
Hitzebeständig und dennoch rissfest bei Kälte
Umso überraschter waren Cook und sein Team, als sich eine der von ihnen erzeugten RHEA-Legierungen völlig anders verhielt. Die Mischung aus rund 45 Prozent Niob, 25 Prozent Tantal, 15 Prozent Titan und 15 Prozent Hafnium verhielt sich in gleich doppelter Weise ungewöhnlich. Zum einen wurde sie beim Erwärmen zunächst sogar härter und biegebeständiger statt weicher. Bei starker Hitze ließ diese Festigkeit zwar etwas nach, aber die Legierung hielt Temperaturen bis 1.600 Grad dennoch stand, ohne zu schmelzen und weichzuwerden. „Dieser Trend ist dem der meisten Materialien genau entgegengesetzt“, so die Forschenden.
Zum anderen wurde die Metallmischung bei Kälte nicht spröde. „Als die Temperatur bis zu minus 196 Grad abgesenkt wurde, blieb die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Rissbildung persistent hoch.“ Die Bruchfestigkeit der Legierung aus Niob, Tantal, Titan und Hafnium übertraf in einigen Temperaturbereichen sogar die von cryogenem Spezialstahl, wie das Team ermittelte. „Die Werte waren alle hoch und für solche RHEA-Legierungen wirklich bemerkenswert“, so Cook und seine Kollegen.
Kink-Bänder als „Geheimwaffe“
Doch was steckt hinter dieser ungewöhnlichen Widerstandsfähigkeit? Um das herauszufinden, analysierten die Forschenden das Metall während der Tests mittels kristallografischer Methoden wie der Elektronen-Rückstreuungsanalyse (EBSD) und Elektronenmikroskopie. Dies enthüllte: Im Kristallgitter der Legierung bilden sich unter Belastung spezielle Defekte, sogenannte Kink-Bänder. In diesen schmalen Streifen kommt es zum lokalen Kollaps der geordneten Gitterstruktur.
Normalerweise machen solche Defekte ein Metall eher spröder und instabiler, doch im Falle der neuen RHEA-Legierung ist das Gegenteil der Fall: „Diese Bänder unterdrücken die Stresshärtung, indem sie Mikrostreifen des Kristalls in Richtung des höheren Scherbelastung reorientieren“, erklärt das Team. „Parallel dazu rekristallisiert sich das Gitter in Reaktion auf lokale Spannungen entlang dieser Bänder kontinuierlich neu und lenkt dadurch Schäden von der Rissspitze weg.“
„Damit zeigen wir zum ersten Mal, dass solche Kink-Bänder die Schäden durch Auftreten eines Bruchs zwischen Atomen ablenken und so die Rissausbreitung verhindern“, sagt Cook. „Das verleiht diesem Material die außergewöhnliche Bruchfestigkeit.“
Neue Möglichkeiten für Hightech-Anwendungen
Nach Ansicht des Forschungsteams eröffnet die Entdeckung dieser Legierung neue Möglichkeiten für die Materialforschung. „Entgegen gängiger Annahme können komplexe, refraktäre Legierungen eine außerordentliche Rissstabilität über extreme Temperaturbereiche hinweg aufweisen, selbst im cryogenen Regime“, schreiben Cook und seine Kollegen. „Diese außergewöhnliche Schadenstoleranz eröffnet die Möglichkeit, solche refraktären Legierungen in sicherheitskritischen Anwendungen einzusetzen.“
Denkbar wäre beispielsweise der Einsatz in Reaktoren, Motoren oder auch in der Luft- und Raumfahrt. Denn in all diesen Bereichen müssen Metalle hohen Belastungen bei extremen Temperaturen standhalten. Bis die neuartige Legierung aber zum Einsatz kommt, wollen Cook und sein Team dessen Merkmale und Eigenheiten noch weiter erkunden. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adn2428)
Quelle: DOE/ Lawrence Berkeley National Laboratory