Materialforschung

Unkaputtbares „Super-Gel“

Neue Form eines Hydrogels wird unter Druck hart wie Glas

Hydrogel
Dieses Hydrogel ist im normalen Zustand weich und glibbrig. Wird es jedoch unter Druck gesetzt, wird es glashart. © University of Cambridge

Wässrig, aber oho: Forscher haben ein Hydrogel entwickelt, das unter Druck so fest wird wie gehärtetes Glas. Man kann es sogar mit einem Auto überrollen, ohne dass es zerquetscht wird oder zerfließt. Das Gel ist zwar unter normalen Bedingungen weich und nachgiebig, wandelt dann aber reversibel seine Konsistenz. Möglich wird dies, weil das Polymergerüst des Hydrogels spezielle Querstreben aufweist, die nur sehr langsam nachgeben, wie das Team im Fachmagazin „Nature Materials“ berichtet.

Hydrogele bestehen aus vernetzten Polymeren, die nicht wasserlöslich sind, aber große Mengen an Wasser an sich binden können. Durch gezielte Anpassung der Querverlinkungen dieser Gerüste lassen sich Merkmale und Verhalten dieser Gele vielseitig anpassen. Einige dienen beispielsweise als Unterwasserkleber, andere als Gerüste für die Organzucht oder als Nahtkleber in der Chirurgie. Weil die Gele im getrockneten Zustand zudem große Mengen an Wasser aufnehmen können, werden sie auch als Superabsorber in Windeln und Damenbinden eingesetzt.

Cucurbiturile
Käfigartige Cucurbiturile machen die Crosslinker des Hydrogels besonders beständig. © M stone / engl. Wikipedia, CC-by-sa 3.0

Auf die Querverbindungen kommt es an

Dass die meist glibbrigen Gele auch steinhart und stabil wie Sicherheitsglas werden können, belegt nun eine von Forschern um Zehuan Huang von der University of Cambridge entwickelte Hydrogel-Variante. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass die als Crosslinker bezeichneten Querverbindungen bei den meisten weichen Hydrogelen leicht nachgeben. Sie beruhen meist auf Wasserstoffbrücken und anderen nicht-kovalenten Bindungen, die schnell dissoziieren.

„Wir vermuten, dass die Verlängerung der Haltbarkeit dieser Crosslinker es erlaubt, supramolekulare Polymernetzwerke zu erzeugen, die sich wie glasartige Materialien verhalten“, erklären die Forscher. Dafür entwickelten sie ein Hydrogel, dessen Querstreben aus sogenannten Cucurbiturilen bestehen – käfigartigen organischen Molekülen, die die beiden Enden der gegenüberliegenden Crosslinker festhalten. Diese Käfige sorgen dafür, dass die Crosslinker nur sehr langsam auf auseinanderziehende Kräfte reagieren.

Vom Auto überfahren – und noch heil

Wie stabil diese Hydrogele auf Druck reagieren, testete das Team anschließend in Labortests sowie durch Überfahren mit einem 1,2 Tonnen schweren Auto. Und tatsächlich: Die modifizierten Gele hielten noch Drücken von mehr als einem Gigapascal stand – dies ist zehntausendmal mehr als der atmosphärische Druck. Statt nachzugeben und zerquetscht zu werden, wurden sie unter der Kompression hart wie Glas. „Die Art, wie das Hydrogel der Kompression standhielt, war überraschend – so etwas hatten wir in Hydrogelen zuvor noch nicht gesehen“, sagt Huangs Kollegin Jade McCune.

Das zeigte sich auch im Auto-Test: Der SUV rollte auf die rund sieben mal fünf Zentimeter große Hydrogelplatte und blieb eine Minute darauf stehen. „Selbst nach 16-maliger Wiederholung waren keine Risse oder irreversiblen Deformationen sichtbar“, berichtet das Forschungsteam. Stattdessen komprimierte und härtete sich das Hydrogel unter Druck, bekam aber bei Entlastung seine weiche, ursprüngliche Form wieder zurück.

Autotest
Der Auto-Test: Das Hydrogel hält selbst dem Überfahrenwerden stand – und kehrt danach zum weichen Ausgangszustand zurück. © University of Cambridge

„Neues Kapitel in den Lehrbüchern“

„Unseres Wissens nach ist das das erste Mal, dass glasartige Hydrogele hergestellt wurden“, sagt Huang. „Damit eröffnen wir ein neues Kapitel im Gebiet der Hochleistungs-Gele.“ Nach Ansicht des Teams erweitern diese modifizierten Hydrigele damit die Einsatzmöglichkeiten solcher Materialien erheblich.

„Die Leuten haben Jahre damit verbracht, gummiartige Hydrogele zu machen, aber das war nur die Hälfte des Bildes“, sagt Seniorautor Oren Scherman von der University of Cambridge. „Wir haben nun eine neue Klasse von Materialien entwickelt, die die gesamte Spanne von gummiweich bis glashart abdecken kann.“ Denn wie hart das Gel bei Kompression wird, lässt sich über die chemische Modifizierung der Crosslinker-Enden kontrolliert einstellen. (Nature Materials, 2021; doi: 10.1038/s41563-021-01124-x)

Quelle: University of Cambridge

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