Zum zweiten Mal haben Physiker Hinweise auf einen Verstoß gegen das Standardmodell gefunden. Bei Kollisionen im Teilchenbeschleuniger LHC zerfielen zwei verschiedene Sorten von Leptonen nicht mit der gleichen Rate, obwohl die sogenannte Leptonen-Universalität des Standardmodells dies fordert. Noch reicht die Signifikanz der Abweichungen nicht für einen sicheren Beweis aus, aber den gleichen Effekt hat zuvor bereits ein US-Beschleuniger bei anderen Kollisionen gezeigt.
Die Elektronen unserer Atome, aber auch kurzlebige Teilchen wie die Tau-Leptonen und die Myonen, gehören zu den Leptonen – Elementarteilchen, die wie Quarks und Bosonen die Grundbausteine der Materie bilden. Nach dem Standardmodell der Teilchenphysik müssten alle Leptonen auf die gleiche Weise mit den Grundkräften des Universums interagieren. Man bezeichnet dies auch als Lepton-Universalität.
Universeller Einfluss
„Die Lepton-Universalität ist integraler Bestandteil des Standardmodells“, erklärt Hassan Jawahery von der University of Maryland. „Denn nach diesem wirkt die Welt auf alle Leptonen gleich. Wenn diese Universität gebrochen wird, dann können wir wirklich sagen, dass wir Beweise für eine Nicht-Standard-Physik gefunden haben.“
Tatsächlich gab es bereits vor einigen Jahren erste Hinweise auf einen solchen Bruch: Das BaBar-Experiment am Linear Accelerator Center in Stanford hatte bei bestimmten Teilchenzerfällen winzige Unterschiede im Verhalten von Leptonen entdeckt. Doch die Daten reichten nicht aus, um eindeutig eine Abweichung vom Standardmodell zu belegen.
Unerklärliche Abweichungen
Jetzt haben Physiker des LHCb-Detektors am Large Hadron Collider (LHC) des CERN ebenfalls Indizien für einen solchen Bruch der Lepton-Universalität entdeckt. Die Forscher hatten sogenannte B-Mesonen-Zerfälle analysiert, diese kurzlebigen Teilchen entstehen bei Protonenkollisionen im Beschleuniger und bestehen aus jeweils einem Quark und seinem Antiquark. Wenn sie zerfallen, produzieren sie leichtere Teilchen, darunter auch Tau Leptonen und Myons – beides Leptonen.
Nach dem Standardmodell wäre zu erwarten, dass beide Leptonen mit der gleichen Rate zerfallen, wenn man einen Korrekturfaktor für ihre unterschiedlichen Massen mit einbezieht. Doch genau dies war bei den Messungen am LHC nicht der Fall: Der LHCb-Detektor registrierte eine kleine, aber auffallende Differenz in der Zerfallsrate. „Unser Ergebnis ist 2,1 Standardabweichungen größer als der aufgrund der Lepton-Universität erwartete Wert“, berichten die Forscher.
Zwei unabhängige Indizien
Zwar ist dieser Wert noch nicht signifikant genug, um als echter Beweis für einen Bruch der Lepton- Universalität zu gelten – dafür benötigt man eine Abweichung von fünf Standardabweichungen (Sigma). Aber es ist nun schon das zweite Mal, dass Physiker Indizien für solche Differenzen bei B-Meson-Zerfällen feststellen – einmal bei den Elektronenkollisionen des BaBar-Experiments und einmal bei den Protonenkollisionen des LHC.
„Die Experimente wurden in ganz verschiedenen Umgebungen durchgeführt, reflektieren aber das gleiche physikalischen Modell“, sagt Koautor Brian Hamilton von der University of Maryland. Diese Replikation sei daher eine wichtige unabhängiger Kontrolle der Beobachtungen. Die Tatsache, dass beide Beschleuniger den gleichen Effekt registriert haben, hält er für mehr als nur Zufall.
Einfluss unbekannter Teilchen?
„Dies deutet darauf hin, dass es mehr ist als nur ein Instrumenten-Effekt – das spricht für echte Physik“, meint Hamilton. Nach Ansicht der Physiker könnten bisher noch unentdeckte Kräfte oder Teilchen den Zerfallsprozess der Leptonen beeinflussen. Welche dies sein könnten, ist aber noch absolut unbekannt. Die Forscher planen nun, weitere Messungen des B-Mesonen-Zerfalls am LHC vorzunehmen – die höheren Kollisionsenergien der zweiten Laufzeit könnten auch mehr Daten und möglicherweise signifikantere Abweichungen liefern.
Möglicherweise, so spekulieren die Forscher, sind ihre Ergebnisse sogar Teil des großen Puzzles der Dunklen Materie und Dunklen Energie. Denn auch nach den Teilchen dieser beiden Phänomene, suchen Physiker weltweit noch. „Wenn wir demonstrieren können, dass es fehlende Teilchen und Wechselwirkungen jenseits des Standardmodells gibt, dann könnte dies helfen, unser Bild zu vervollständigen“, so Jawahery. (Physical Review Letters, in press; arXiv:1506.08614)
(University of Maryland, 28.08.2015 – NPO)