Droht der Menschheit die digitale Katastrophe? Wenn Computertechnologie und Digitalisierung sich so weiterentwickeln, könnte die Zahl der digitalen Bits in 150 bis 350 Jahren die der Atome unseres Planeten übertreffen, wie ein britischer Physiker ausgerechnet hat. Die gespeicherte Information bräuchte dann mehr Platz als die Erde – selbst wenn man künftige Fortschritte der Technik mit einkalkuliert.
Nichts hat sich so rasant entwickelt wie die Computertechnologie: Innerhalb von nur rund einem halben Jahrhundert hat die digitale Technologie alle Lebensbereiche der Menschheit erfasst und grundlegend gewandelt. Heute produzieren die weltweiten Datentransfers, Rechenzentren und mobilen Computer nach Schätzungen von IBM rund 2,5 Milliarden Gigabyte an Daten – pro Tag. Das entspricht der ungeheuren Menge von täglich 20 Trillionen Bits.
„Das Wachstum der digitalen Information scheint unaufhaltsam“, sagt Melvin Vopson von der University of Portsmouth. „90 Prozent der heute existierenden Daten sind erst in den letzten zehn Jahren entstanden.“ Und der Trend geht weiter: Einer Prognose von Seagate zufolge könnte die globale Datenmenge von jährlich 33 Zettabyte im Jahr 2018 auf jährlich 175 Zettabyte im Jahr 2025 ansteigen. Würde man diese Daten auf BlueRay-Discs speichern, würde der Stapel 23-mal bis zum Mond reichen.
Mehr Bits als Atome in unserem Planeten
Was aber bedeutet dies für die weitere Entwicklung? Wohin dies im Extrem führen könnte, hat Vopson nun auf neue Weise ins Verhältnis gesetzt. Er ermittelte dafür, wie lange es dauern wird, bis die Zahl der Bits an digitaler Information die Zahl der Atome in unserem Planeten übertrifft. Diese liegt geschätzt bei rund 1050. Das Ergebnis: Geht man von einer jährlichen Wachstumsrate der digitalen Datenproduktion von 20 Prozent aus, könnte die Zahl der Bits die der irdischen Atome in 350 Jahren übertreffen. Bei einem stärkeren Wachstum von 50 Prozent pro Jahr wäre es sogar schon in 150 Jahren soweit.
Das aber hätte dramatische Folgen. „Selbst wenn man annimmt, dass künftige technische Fortschritte die Größe eines Bits bis auf fast Atomgröße verringern, würde dieses Volumen an digitaler Information mehr Platz einnehmen als unser ganzer Planet“, sagt Vopson. „Das wäre das, was wir als Informationskatastrophe definieren.“ Denn auch wenn Bits digitale Einheiten sind, benötigt ihre Speicherung realen Raum – beispielsweise auf Festplatten der Server. Zurzeit nimmt ein Bit in einem leistungsfähigen Datenspeicher rund 25 Quadratnanometer ein.
Die halbe Erdmasse in 500 Jahren
Hinzu kommt: Nach Ansicht einiger Forscher lässt sich Einsteins berühmte Formel zur Äquivalenz vom Masse und Energie – E=mc2 – auch auf die digitale Information erweitern. „Nach dieser Erweiterung ist Information ein physikalischer Zustand, der je nach Umständen in Masse oder Energie umgewandelt werden kann. „Schon der legendäre Physiker Archibald Wheeler betrachtete das Universum als aus drei Komponenten bestehend: Teilchen, Feldern und Information“, erklärt Vopson. „Er prägte dafür die Phrase: ‚It from Bit‘.“
Ein Bit wäre damit eine Art abstraktes Teilchen ohne Spin und Ladung, aber mit einer bestimmten Masse, die der für seine Produktion und Speicherung nötigen Energie entspricht. Nach Vopsons Rechnung hätte ein Bit bei Raumtemperatur die winzige Masse von 3,19 mal 10-38 Einheit fehlt. „Die gesamte zurzeit auf der Erde erzeugte Information wiegt demnach 233 Trillionstel Kilogramm – das ist gerade einmal die Masse eines Escherichia-coli-Bakteriums“, so der Forscher.
Doch wenn man von einem jährlichen Wachstum der digitalen Information um 20 Prozent ausgeht, würde es nur 188 Jahre dauern, bis man ein Kilogramm an „Informationsmasse“ erreichte. Und nach 495 Jahren könnte die Masse der Bits und Bytes sogar schon die halbe Erdmasse ausmachen, wie Vopson errechnet hat.
Grenzen sprengend auch im Strombedarf
Deutlich früher könnte der Strombedarf der Informationstechnologie an eine planetare Grenze stoßen. Schon jetzt verbrauchen Rechenzentren rund ein Prozent der globalen Stromproduktion. Der Strombedarf der Netzwerktechnologie, des Mobilfunks und der Endgeräte ist darin noch nicht enthalten. Nach Berechnungen von Vopson könnte all diese Technologie in 285 Jahren der gesamten Stromproduktion der heutigen Erde entsprechen – geht man von 20 Prozent digitalem Wachstum pro Jahr aus.
„Wir sind dabei, unseren Planeten Bit für Bit zu verändern – und das kann zu einer unsichtbaren Krise führen“, warnt Vopson. Denn irgendwann sei der Punkt erreicht, an dem die Masse, der nötige Platz und der Energiebedarf aller Bits und Bytes die planetaren Grenzen überschreiten. (AIP Advances, 2020; doi: 10.1063/5.0019941)
Quelle: American Institute of Physics