Chemie

Warum ist Quecksilber bei Raumtemperatur flüssig?

Ein Effekt der Relativitätstheorie auf seine Elektronen lässt das Metall früher schmelzen als normal

Quecksilber: bei Raumtemperatur flüssig © gemeinfrei

Quecksilber ist ein besonderes Metall. Denn es ist als einziges bei Raumtemperatur flüssig. Aber warum? Diese Frage hat jetzt ein internationales Forscherteam mit Hilfe von Computerexperimenten beantwortet. Wie sich herausstellte, sorgt die extrem schnelle Bewegung der Elektronen um den schweren Kern dafür, dass Effekte auftreten, die Albert Einstein in seiner speziellen Relativitätstheorie beschrieb. Ohne sie würde Quecksilber erst bei rund 120 Grad schmelzen.

„Quecksilber stellt mit seinen Eigenschaften die theoretische Chemie seit langem vor viele Rätsel. Sein Aggregatzustand ist unter Normalbedingungen stets flüssig, anders als bei anderen Metallen wie Zink, Gold oder Kupfer, denen viel Wärme zugefügt werden muss, bis sie schmelzen“, sagt der Physiker Michael Wormit, der am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) der Universität Heidelberg auf dem Gebiet der Theoretischen Chemie forscht. „Quecksilber ähnelt in seinem Verhalten häufig eher einem Edelgas als einem Metall.“

Liegt die Antwort in den Elektronen?

Dass die Besonderheiten von Quecksilber ihre Ursache in Effekten der speziellen Relativitätstheorie haben, wird in der Forschung seit längerem vermutet, konnte aber bislang nicht quantitativ nachgewiesen werden. Mit dieser Theorie beschreibt Albert Einstein die Eigenschaften von sehr schnell bewegter Materie. Diese kommt auch im Quecksilberatom vor: In Form der 80 schnell um den schweren Kern kreisenden Elektronen. Besonders schnell sind dabei die inneren Elektronen, die mit steigender Geschwindigkeit gemäß Einsteins Theorie an Masse gewinnen. Das wiederum führt dazu, dass diese Elektronen die Ladung des positiven Kerns nach außen besser abschirmen.

Das Quecksilberatom besitzt dadurch eine veränderte Elektronenstruktur gegenüber leichteren Atomen, bei denen solche Effekte eine geringere Rolle spielen. Dadurch fällt es Elektronen schwerer, von einem niedrigeren Orbital auf ein anderes zu springen. Als Folge nimmt das Quecksilber nicht so leicht die für feste, kristalline Metalle typische Elektronenkonstellation ein. Soweit die Theorie. Aber stimmt das auch? Gibt es relativistische Effekte im Quecksilberatom?

Modell hilft bei Aufklärung

Gemeinsam mit Kollegen hat nun Wormit die atomare Struktur von Quecksilber bestehend aus dem Atomkern und den dazugehörigen Elektronen am Rechner modelliert. Dabei analysierten die Forscher die Wechselwirkung der Quecksilberatome bei unterschiedlichem Druck und bei verschiedenen Temperaturen mit Hilfe von Computersimulationen. „Lange Zeit reichte die Rechnerkapazität für Simulationen und Berechnungen dieser Art einfach nicht aus“, erläutert der Heidelberger Wissenschaftler. Er und seine Kollegen behalfen sich damit, ein Verfahren aus der Wahrscheinlichkeitstheorie, die sogenannte Monte-Carlo-Simulation, einzusetzen. Sie löst die Fragestellung auf numerischem Weg, da eine deterministische Berechnung numerisch nicht durchführbar ist.

Das Ergebnis: Wie vermutet spielt die extrem schnelle Bewegung der Elektronen um den Quecksilberkern tatsächlich eine entscheidende Rolle für das seltsame Schmelzverhalten des Metalls. „Wir konnten zeigen, dass die relativistischen Effekte für die Simulation von Quecksilbermaterialien von entscheidender Bedeutung sind“, erklärt Wormit. Erst diese Effekte sorgen dafür, dass die Schmelztemperatur so niedrig liegt. Ohne sie läge der Schmelzpunkt von festem Quecksilber um 105 Grad Celsius höher als jetzt. Es wäre dann bei Raumtemperatur nicht flüssig, sondern fest. (Angewandte Chemie, 2013; doi: 10.1002/ange.201302742)

(Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 27.08.2013 – NPO)

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