Chemie

Wasser: Doch keine zwei Varianten?

Neue Röntgenanalysen widerlegen Indizien für "zwei Flüssigkeiten in einer"

Wassermoleküle
Ist Wasser in flüssigem Zustand homogen oder besteht es aus zwei miteinander vermischten Strukturvarianten? © McVay, sitox/ iStock.com

Doch keine zwei Phasen? Flüssiges Wasser scheint doch homogener zu sein als es einige Analysen nahelegten. Denn die Indizien für „zwei Flüssigkeiten in einer“ konnten Forscher nun in neuen Röntgenanalysen nicht bestätigen. Zumindest bei Raumtemperatur scheinen die Wassermoleküle demnach eine eher homogene, wenn auch lose Struktur mit relativ regelmäßig verteilten Bindungen zu bilden. Die wahre Natur des Wassers ist damit nun wieder einmal strittig.

So allgegenwärtig Wasser auch ist, so ungewöhnlich verhält sich das H2O-Molekül in physikalisch-chemischer Hinsicht. Es kann spontan durch die sogenannte Eigendissoziation zerfallen, bildet mehr als ein Dutzend verschiedener Eisformen und zeigt eine Dichteanomalie – es ist als Flüssigkeit bei vier Grad dichter als in kristalliner Form. Im flüssigen Zustand bildet Wasser zudem ein hochkomplexes Gemenge von „Molekülklumpen„, die in Sekundenbruchteilen ihre Struktur und Anordnung ändern.

Zwei Phasen oder ein Kontinuum?

Doch gerade die Struktur des flüssigen Wassers gibt Forschern schon seit mehr als 100 Jahren Rätsel auf. Schon Wilhelm Conrad Röntgen schlug vor, dass flüssiges Wasser aus einer Mischung von zwei unterschiedlichen Phasen besteht. Dichtere „Klumpen“ von enger gebundenen, geordneteren Molekülen wechseln sich dabei mit ungebundenen Wassermolekülen ab. Tatsächlich haben Forscher im Jahr 2017 Indizien für eine solche Doppelnatur des Wassers entdeckt – aber nur bei ultrakalten Temperaturen.

Wassermolekül2
Anregung eines Wassermoleküle mit Röntgenstrahlung (blau). Das emittierte Licht (rosa) liefert Informationen über Energiezustand und Bindungen des Moleküls. © scistyle /HZB

„Das aber widerspricht der physikalischen Theorie, nach der ein solches System oberhalb eines kritischen Punktes homogen und frei von Multiphasen-Formen ist“, erklären Johannes Niskanen vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie und seine Kollegen. Das sogenannte Kontinuumsmodell geht davon aus, dass sich die H2O-Moleküle über Wasserstoffbrückenbindungen lose und ungeordnet vernetzen – und keine zwei Phasen bilden.

Tetraeder in loser Anordnung

Aber welches Modell hat Recht? Um mehr Klarheit zu schaffen, haben Niskanen und sein Team noch einmal Wasserproben mit mehreren verschiedenen röntgenspektroskopischen Methoden untersucht. Das erlaubte ihnen Rückschlüsse sowohl auf den energetischen Zustand als auch die Zahl und Anordnung der Wasserstoffbrückenbindungen im flüssigen Wasser.

Das Ergebnis: Bei Raumtemperatur fanden die Wissenschaftler keine Anzeichen für eine Zweiphasigkeit des flüssigen Wassers. Stattdessen sprachen die identifizierten Bindungen der H2O-Moleküle für eine relativ homogene Struktur: Pro Molekül gibt es demnach im Schnitt 1,74 Wasserstoffbrückenbindungen, bei denen der Sauerstoff als Protonendonator oder -akzeptor fungiert, wie die Forscher ermittelten. Zusammen mit den kovalenten Bindungen innerhalb des H2O-Moleüls ergeben sich dadurch fast vier Bindungen, was eine tetrahedrale Anordnung ermöglicht.

„Keine zwei Phasen nötig“

„Wir stellen fest, dass sich alle beobachtbaren Röntgenparameter vollständig und konsistent durch Kontinuumsmodelle erklären lassen, bei denen das flüssige Wasser bei Raumtemperatur eine nahezu tetrahedrale Koordination besitzt“, konstatieren die Wissenschaftler. Ihrer Ansicht nach spricht dies dafür, dass die beiden in ultrakaltem Wasser gefundenen Phasen zumindest bei Raumtemperatur nicht vorhanden sind. (Proceedings der National Academy of Science, 2019; doi: 10.1073/pnas.1815701116)

Quelle: Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH

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