Wichtiger Durchbruch: Ein zentrales Heizsystem des im Bau befindlichen Fusionsreaktors ITER hat eine entscheidende Hürde genommen – und einen Weltrekord aufgestellt. Zum ersten Mal erzeugte der Teststand für die Neutralteilchen-Heizung des Fusionsreaktors einen Wasserstoff-Ionenstrahl, der in Dauer und Ionenstromdichte die nötigen Zielwerte erreichte. Obwohl der Teststand ein verkleinertes Modell darstellt, schaffte er die nötige Heizleistung. Sie soll später helfen, das Fusionsplasma bis auf 150 Millionen Grad aufzuheizen.
Die Kernfusion könnte zur Energiequelle der Zukunft werden – sofern es gelingt, das Wasserstoffplasma in Fusionsreaktoren stark genug aufzuheizen und zu komprimieren. Neben der Laserfusion und weiteren experimentellen Ansätzen wird der internationale Großreaktor ITER dies erstmals in größerem Maßstab ermöglichen. Die zurzeit in Südfrankreich gebaute Fusionsanlage soll eine Fusionsleistung von 500 Megawatt erreichen – zehnmal soviel, wie zur Aufheizung des Fusionsplasmas investiert werden muss.
Teilchenstrahl als Heizung
Damit ITER dies schafft, muss sein Fusionsplasma auf eine Temperatur von 150 Millionen Grad Celsius gebracht werden. Etwa die Hälfte der nötigen Heizleistung soll die sogenannte Neutralteilchen-Injektion (NBI) erbringen. Dabei werden schnelle Wasserstoff- oder Deuteriumatome in das Plasma geschossen, die dann ihre Energie durch Kollisionen auf die Plasmateilchen übertragen. Den heizenden Teilchenstrom zu erzeugen, ist allerdings nicht ganz einfach.
Der Grund: Um die Wasserstoffatome im Teilchenstrahl auf ausreichend hohe Energien zu bringen, müssen sie zunächst ionisiert werden. Denn erst ihre Ladung ermöglicht es, sie in einem elektromagnetischen Feld zu beschleunigen. Damit dieser Teilchenstrahl dann in den Magnetkäfig mit dem Fusionsplasma eindringen kann, muss der Wasserstoff jedoch wieder neutralisiert werden. Dafür wird der Ionenstrahl durch mehrere mit Cäsium beschichtete Gitter geleitet, die ihn neutralisieren und ihn gleichzeitig zu einem möglichst breiten, aber homogenen Strahl formen.
Im Fusionsreaktor ITER wird für die Neutralteilchen-Injektion ein Ionenstrahl von einem mal zwei Meter Querschnitt benötigt. Dieser muss zudem während der Pulse von mehreren hundert Sekunden Dauer stabil bleiben.
Neue Weltrekorde beim Teilchenstrahl
Um die für dieses komplexe Heizsystem nötige Technik zu testen und zu optimieren, haben Forschende am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik einen Teststand konstruiert. Die Ionenquelle des ELISE (Extraction from a Large Ion Source Experiment) getauften Systems ist halb so groß wie die der geplanten ITER-Heizung – sie erzeugt einen ein mal ein Meter großen Teilchenstrahl. Mit ihm können die Physiker die verschiedenen Feinheiten der Plasmaheizung austesten.
Jetzt ist dabei ein wichtiger Durchbruch gelungen: Erstmals konnten die Physiker mit ELISE Ionenstromdichten erzeugen, wie sie später für ITER benötigt werden. Am 28. März 2024 gelang es zehn Minuten lang, eine negative Wasserstoffionen-Stromdichte von fast 300 Ampere pro Quadratmeter aus ELISE zu extrahieren, wie das Team berichtet. Damit wurde die bislang mögliche Pulslänge für solche Stromdichten mehr als verzehnfacht – ein Weltrekord, wie das Team berichtet. Für kürzere Pulse von zehn Sekunden Dauer wurden in den Tests sogar 330 Ampere pro Quadratmeter erzeugt – auch dies ist ein neuer Weltrekord.
Durchbruch für ITER
„Beide Werte stellen einen echten Durchbruch für die Entwicklung des ITER-NBI-Systems dar“, sagt Dirk Wünderlich vom MPI für Plasmaphysik. Der Teststand ELISE erreicht damit bereits das Ziel von ITER, obwohl seiner Ionenquelle nur maximal 75 Prozent der bei ITER verfügbaren Hochfrequenzleistung zur Verfügung steht. „Im nächsten Schritt wird es darum gehen, Betriebsszenarien zu entwickeln, mit denen sich die ITER-Werte schnell und zuverlässig erreichen lassen“, erklärt Bereichsleiterin Ursel Fantz.
Ein weiteres Ziel: Nach den Erfolgen mit Wasserstoff wollen die Physiker auch mit Deuterium-Ionen entsprechende Werte erreichen – eine Anforderung für spätere Betriebsphasen von ITER. Dabei sollen die für Deuterium notwendigen Stromdichten bis zu 60 Minuten aufrechterhalten werden. „ELISE ist technisch dafür ausgelegt, diese Ziele zu erreichen“, sagt Fantz. Weitere Weltrekorde sind für die kommenden Jahre zu erwarten.
Quelle: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik