Materialforschung

Wenn Elektronik zur zweiten Haut wird

Neue Wearables sind erstmals dehnbar und leistungsfähig zugleich

Person schaut auf ihren Fitness-Tracker am Handgelenk
Smartwatches und Fitness-Tracker sind längst Alltag. Forschende haben nun elektronische Materialien entwickelt, die künftig noch komfortabler getragen werden können. © AzmanL / iStock

Sensoren zum Anziehen: Materialforscher versuchen seit längerem, effektive und zugleich komfortable Wearables zu entwickeln, deren Sensoren sich wie eine zweite Haut tragen. Ein Forschungsteam ist dabei nun einen großen Schritt weitergekommen. Die von ihnen entwickelte Elektronik ist erstmals elastisch und dehnbar und zugleich hochleistungsfähig. Solche tragbare Elektronik könnte helfen, Körperfunktionen zu überwachen oder Blindenschrift zu lesen. Doch bis zur Marktreife sind noch Hürden zu überwinden.

Fitness-Tracker, Smartwatches und Co sind längst allgegenwärtig. Sie überwachen auf unseren Wunsch hin beispielsweise unsere sportliche Leistung oder unseren Schlaf. Auch intelligente Kleidung ist im Kommen. Noch sind diese Wearables vergleichsweise groß, künftig könnten sie aber immer kleiner werden und dann nicht mehr nur getragen oder als Pflaster aufgeklebt, sondern auch implantiert werden. Solche Elektronikgeräte könnten dann über winzige Sensoren zum Beispiel noch einfacher dabei helfen, unsere Gesundheit zu überwachen oder Krankheiten zu diagnostizieren, indem sie Körpersignale wie Blutdruck oder Gehirnwellen auswerten.

Forschende arbeiten seit einigen Jahren an solchen Wearables. Eine Herausforderung ist es dabei bislang, die Elektronik so zu konzipieren, dass sie angrenzende Haut- oder Gewebeschichten nicht reizt oder beschädigt. Dafür müssen sich die Materialien bei Bewegungen des Trägers biegen und dehnen können. Zudem muss die Elektronik weich genug sein, um nicht zu kratzen.

Dehnbare Elektronik dank Nanotubes

Ein Forschungsteam um Donglai Zhong von der Stanford University hat dafür einen neuen Ansatz erprobt. Die Materialwissenschaftler entwarfen dehnbare Schaltkreise und Transistoren, die aus selbstentwickelten weichen Elektroden und Schaltern sowie aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen bestehen. Die Nanotubes dienten dabei als Halbleiter und bildeten eine elastische, netzartige Struktur, die die übrige Elektronik einschloss. Dadurch funktionieren die Schaltkreise auch, wenn sie gedehnt oder verformt werden, wie die Forschenden berichten.

„Wir mussten nicht nur neue Materialien entwickeln, sondern auch das Schaltungsdesign und den Herstellungsprozess für die Schaltungen entwickeln. Es sind viele Schichten übereinandergestapelt und wenn eine Schicht nicht funktioniert, müssen wir alles von Grund auf neu starten“, erklärt Seniorautor Zhenan Bao von der Stanford University.

Hochsensible Elektronik erkennt Braille-Schrift

Nach mehreren Versuchen erhielten Zhong und seine Kollegen mit diesem Herstellungsverfahren schließlich ein Material für Wearables mit integrierten Schaltkreisen, die fünfmal kleiner sind und mit tausendmal höheren Geschwindigkeiten arbeiten als frühere Versionen. Mit dem neuen Elektronikdesign lassen sich mehr als 2.500 Sensoren in einem Quadratzentimeter unterbringen. Das Resultat ist so dünn und dehnbar wie menschliche Haut.

Mit dieser Technik haben die Wissenschaftler bereits verschiedene Prototypen erstellt – beispielsweise ein elektronisches Gerät, das zehnmal empfindlicher ist als menschliche Fingerspitzen. Die Sensoren der „künstlichen Fingerspitze“ erkannten die Position und Ausrichtung winziger Formen und sogar ganze Wörter in Blindenschrift, wie Zhong und seine Kollegen berichten. „Bei Brailleschrift spürt man in der Regel einen Buchstaben nach dem anderen“, sagt Zhong. „Mit einer so hohen Auflösung könnte man künftig ein ganzes Wort oder möglicherweise einen ganzen Satz mit nur einer Berührung wahrnehmen.“

Bessere Sensoren für Fitness-Tracker und tragbare Displays

Mit ihrem neu entwickelten Design konstruierten die Materialforscher erstmals auch ein dehnbares, tragbares Mikro-LED-Display mit handelsüblicher Leistung. Frühere Versionen der elastischen Schaltkreise waren bei entsprechend kleinen Größen nicht schnell genug, um genügend Strom zu erzeugen, um als Display zu fungieren.

Forschende mit einem ihrer neu entwickelten elektronischen Geräte
Forschende mit einem ihrer neu entwickelten elektronischen Geräte. © Andrew Brodhead

„Dehnbare integrierte Schaltkreise sind nun zum ersten Mal klein genug und schnell genug für viele Anwendungen“, erklärt Bao. Neben dem Einsatz als tragbare Fitness-Tracker wie Armbänder könnten die neuen Geräte künftig auch in Gehirn oder Darm implantiert werden. „Wir hoffen, dass tragbare Sensoren und implantierbare Nerven- und Darmsonden dadurch empfindlicher werden, mehr Sensoren betrieben werden und möglicherweise weniger Strom verbrauchen.”

In der Medizin könnte die neue Elektronik als Sensor dienen, um Nerven- oder Muskelsignale aufzunehmen. Dadurch würden mehr Signale gleichzeitig erkannt als mit herkömmlichen Sensoren. „Dies könnte zu Gehirn-Maschine-Schnittstellen der nächsten Generation führen, die sowohl leistungsfähig als auch biokompatibel sind“, sagt Bao.

Elektronik ist noch nicht wasserfest

Für Elektronikhersteller wären Geräte aus den neu entwickelten Materialien theoretisch leicht zu produzieren, da dieselben Maschinen verwendet werden können wie bisher für Bildschirme. Nur die eingesetzten Materialien müssten ausgetauscht und die Maschinen etwas angepasst werden, wie das Team berichtet.

Bevor die elastische und dehnbare Elektronik auf den Markt kommen kann, ist jedoch weitere Forschung nötig. So funktionieren die Schaltkreise beispielsweise noch nicht zuverlässig genug und sind noch nicht wasserfest. Die Geräte bräuchten daher zunächst einen Überzug als Feuchtigkeitsschutz, der ebenfalls dehnbar sein muss. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07096-7)

Quelle: Stanford University

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