Klima

Wer fliegt am meisten?

Flüge verursachen mehr Emissionen als offiziell angegeben

Flugzeug
Die Luftfahrt verursacht 2,4 Prozent aller menschgemachten CO2-Emissionen. © Nirian / iStock

Nachgerechnet: Ingenieure haben ein Rechenmodell entwickelt, mit dem sich die auf Flugreisen freigesetzten Treibhausgase in Echtzeit berechnen lassen. Ein Vergleich mit den offiziell bei den Vereinten Nationen gemeldeten Emissionen ergab: Flüge stoßen weltweit 50 Prozent mehr CO2 aus als angegeben. Damit liegen nun erstmals umfassende Daten zum globalen Flugverkehr vor. Doch wie kam es zu der Zahlendiskrepanz, wer fliegt am meisten und was folgt daraus für die Verhandlungen auf den UN-Klimagipfeln?

Flugreisen belasten das Klima, Tendenz steigend. Seit 1992 sind daher zahlreiche Industriestaaten vertraglich dazu verpflichtet, ihre durch Flugzeuge ausgestoßenen Treibhausgasemissionen an die Vereinten Nationen zu melden. Basierend darauf sollen diese Emissionen langfristig gesenkt werden. Von dem Pakt ausgenommen sind ärmere Länder und solche mit mittlerem Einkommen wie China und Indien. Insgesamt 155 Länder müssen keine Rechenschaft über die Klimawirkung ihrer Flüge ablegen. Die meisten tun dies dennoch freiwillig. Von 45 Ländern liegen jedoch bislang keinerlei offizielle Daten vor.

Bei den internationalen Klimaverhandlungen dienen diese Angaben der Länder als Basis, um daraus individuelle Zielvorgaben für weitere Klimaschutzmaßnahmen zu entwickeln. Doch wie genau und verlässlich sind die Eigenangaben und wie groß ist die Lücke durch fehlende Angaben aus ärmeren Ländern?

Screenshot von Flight Radar 24 zeigt Flugrouten von Flugzeugen
Die Wissenschaftler verwendeten Flugdaten, wie sie in diesem Screenshot von Flight Radar 24 zu sehen sind, sowie Informationen über die Flugzeug- und Triebwerkstypen, um die luftfahrtbedingten Treibhausgasemissionen aus 197 Ländern im Jahr 2019 zu berechnen. Screenshot: https://www.flightradar24.com © flightradar

Rechenmodell dank Big Data

Um das zu prüfen, hat ein Forschungsteam um Jan Klenner von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU) in Trondheim nun erstmals nachgerechnet. Dafür verwendeten die Ingenieure Daten von 36 Millionen Flügen aus dem Jahr 2019 aus den 197 Ländern, die das UN-Abkommen unterzeichnet haben. Diese enthielten Informationen über die realen Flugrouten sowie die Flugzeug- und Triebwerkstypen und deren Kraftstoffverbrauch. Aus diesem Big-Data-Satz berechneten sie die beim Fliegen ausgestoßenen Mengen an Treibhausgasen wie CO2 sowie Luftschadstoffen wie Stickoxide.

Diese Zahlen verglichen Klenner und seine Kollegen mit den offiziell bei den Vereinten Nationen gemeldeten. So entstand eine Rechenmodell, AviTeam genannt, das die realen Flugemissionen pro Land angeben kann.

Menschen in reicheren Ländern fliegen mehr

Der Blick auf die Zahlen verriet, dass 2019 weltweit 911 Millionen Tonnen CO2-Emissionen durch Flüge verursacht wurden. Gemeldet wurden davon jedoch nur 604 Millionen Tonnen. Durch Flugreisen wurden demnach insgesamt 50 Prozent mehr Treibhausgase emittiert als offiziell angegeben. Diese Lücke entstand unter anderem durch Länder wie China, die keinerlei Emissionen gemeldet hatten, jedoch tatsächlich für große Mengen verantwortlich waren, wie das Team berichtet.

Grafiken zum weltweiten Luftverkehr in 2019
Oben: Die Emissionen des internationalen Luftverkehrs, die 2019 an die Vereinten Nationen gemeldet wurden. Mitte: Die tatsächlichen Emissionen des internationalen Luftverkehrs in 2019, basierend auf dem AviTeam-Modell. Unten: Die 30 größten Emittenten aus dem internationalen Reiseverkehr. © Klenner et al., 2024

In der Liste der Länder mit den insgesamt meisten Flugemissionen landete China sogar auf dem zweiten Platz mit 14,4 Prozent der CO2-Emissionen, hinter den USA mit 22,2 Prozent und weit vor Großbritannien mit 3,8 Prozent der CO2-Emissionen. Deutschland liegt hier auf dem siebten Platz mit circa 2,8 Prozent. Dabei wurden sowohl Inlandsflüge als auch internationale Flüge berücksichtigt.

Beim Vergleich der Emissionen pro Person durch Inlandsflüge landeten die USA ebenfalls auf dem ersten Platz, gefolgt von Australien und Norwegen. Obwohl Norwegen relativ klein ist und nur 5,5 Millionen Einwohner hat, fliegen die Norweger demnach sehr viel im eigenen Land – etwa zehnmal mehr als die Deutschen. Grund dafür ist unter anderem der Wohlstand des Landes: „Als wir uns ansahen, wie sich die Emissionen pro Kopf verteilen, konnten wir feststellen, dass das wirtschaftliche Wohlergehen zu mehr Aktivität im Luftverkehr führt“, erklärt Klenner.

Zu einem geringeren Anteil wirkt sich auch die Zahl der Bahnreisenden auf die Zahl der Inlandsflüge aus, wie das Team feststellte. Je mehr Bahnfahrer, desto weniger Flüge.

Modell füllt Datenlücken in Echtzeit

„Jetzt haben wir ein viel klareres Bild der Luftverkehrsemissionen pro Land, einschließlich der bisher nicht gemeldeten Emissionen. Das sagt etwas darüber aus, wie wir sie reduzieren können“, sagt Koautorin Helene Muri von der NTNU. „Unsere Daten füllen die Lücken in der Berichterstattung, so dass diese in die Politik einfließen und hoffentlich zukünftige Verhandlungen verbessern können“, ergänzt Klenner.

Der Big-Data-Ansatz liefere insgesamt umfassendere und schnellere Informationen als durch offizielle Berichtswege verfügbar sind, sagt Seniorautor Anders Hammer Strømman von der NTNU. „Dieses Modell ermöglicht es uns, eine sofortige Emissionsmodellierung durchzuführen – wir können die Emissionen des globalen Luftverkehrs berechnen, während sie auftreten.“ Das sei auch für die ärmeren Länder von Vorteil, die durch AviTeam nun an Informationen gelangen, die sie selbst nur schwer erheben könnten.

Hinweise auf Flugstrecken für alternative Kraftstoffe

Die Möglichkeit, die Emissionen durch Flüge nahezu in Echtzeit zu berechnen, könnte künftig auch bei der Transformation des Luftverkehrs hin zu klimafreundlicheren Flügen hilfreich sein. „In der Übergangsphase, in der wir über die Einführung neuer Kraftstoffe und neuer Technologien sprechen, ermöglicht uns diese Art von Big Data, die Arten von Korridoren oder Operationen zu identifizieren, bei denen es sinnvoll ist, diese Strategien zuerst zu testen“, sagt Strømman.

Für die Länder, aus denen den Vereinten Nationen bereits Eigenangaben vorlagen, waren die mit der neuen Methode ermittelten Emissionswerte allerdings im Schnitt um 18 Prozent niedriger als offiziell gemeldet. Diese Diskrepanz erklären sich die Forschenden damit, dass sie in ihrer Analyse Privatflugzeuge nur zum Teil und Helikopter gar nicht berücksichtigten. Die realen Emissionen sind demnach noch höher als nun berechnet. Für ein noch genaueres Bild des Luftverkehrs soll das AviTeam-Modell daher künftig entsprechend ausgebaut und nachgebessert werden, mit mehr nationalen statt globalen Flugdaten. (Environmental Research Letters, 2024; doi: 10.1088/1748-9326/ad3a7d)

Quelle: Norwegian SciTech News

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