Bionik

Aerogel-Fasern imitieren das Fell des Eisbären

Pullover aus neuartigen Thermofasern isolieren besser als Daunen und Wolle

Eisbär
Das Fell des Eisbären ist besonders dicht und wärmeisolierend. Spezielle Aerogelfasern imitieren diesen Effekt nun. © Turau/ Getty images

Angezogen wie ein Eisbär: Forschende haben eine neuartige Faser entwickelt, aus der mollig warme Pullover gestrickt werden können. Denn die aus einem speziellen Aerogel bestehende Faser ist extrem wärmeisolierend, aber gleichzeitig strapazierfähig und dehnbar, wie die Wissenschaftler in „Science“ berichten. Dadurch können aus dem Garn problemlos Kleidungsstücke für kalte Regionen hergestellt werden. Die Eigenschaften der „eingekapselten Aerogelfasern“ sind aber auch für weitere Industrie-Anwendungen interessant.

Sogenannte Aerogele verfügen über eine exzellente Wärmedämmung. Die bereits 1931 entwickelten Werkstoffe heißen so, weil bei ihrer Herstellung die Flüssigkeit in Gelen durch Gase ausgetauscht wird. Durch dieses Sol-Gel-Verfahren sind die Materialien sehr porös und leiten extrem wenig Wärme ab. Die NASA verwendet diese Werkstoffe daher für ihre Raumfahrzeuge. Materialwissenschaftler versuchen seit Längerem, aus Aerogelen auch Thermotextilien herzustellen.

Doch für die Verarbeitung in Textilien eignen sich die Fasern aus Aerogelen bislang nicht. Sie sind nicht stabil und dehnbar genug, um aus ihnen Kleidungsstücke zu weben oder zu stricken. Zudem sind Aerogelfasern nicht maschinenwaschbar und verlieren bei Feuchte ihre isolierende Wirkung. Auch Versuche, verschiedene Aerogele oder Aerogelfasern in niedrigen Konzentrationen mit anderen Materialien zu kombinieren, ergaben bislang nur Textilien mit eher schlechter Wärmedämmung.

Eisbär
Der Eisbär muss die arktische Kälte nicht fürchten. Sein Fell bietet ihm einen nahezu perfekten Kälteschutz. © NiseriN / Getty Images

Wie halten sich Eisbären warm?

Um diese Makel der bisherigen Aerogel-Fasern auszumerzen, hat eine Forschungsgruppe um Mingrui Wu von der Zhejiang-Universität in Hangzhou nach Vorbildern für robustere Isolierfasern in der Natur gesucht. Denn viele Tiere wie der Eisbär, die in sehr kalten Gegenden leben, besitzen ein spezielles Fell, das sie gleichzeitig gegen die Kälte schützt und trocken hält.

Das weiße Fell der Eisbären besteht aus Haaren mit einem porösen, weitgehend hohlen Kern und einer dichten Schale, wie die Untersuchungen zeigten. Dadurch sind die Haare flexibel und zugleich robust, schließen effektiv Luft ein und halten Feuchte draußen. Sie bilden daher das ideale Dämmmaterial.

Struktur des Eisbärenfells nachgeahmt

Diesen Aufbau haben Wu und seine Kollegen nun im Labor nachgebaut. Dabei stellten sie zunächst Aerogelfasern aus Polymeren her, die im Inneren winzige lamellenförmige Hohlräume enthalten. Mit einer sogenannten Gefrierspinn-Methode pressten sie dafür die Polymer-Flüssigkeit zu langen gefrorenen Stangen. Diese trockneten die Wissenschaftler im gefrorenen Zustand. Anschließend umhüllten sie die Fasern mit einer dünnen, dehnbaren Gummischicht, die sie durch Wärme trocknen ließen.

Für die Kernfasern verwendeten die Forschenden verschiedenfarbige Aerogele aus Chitosan, einem Biopolymer, das unter anderem aus Krebsschalen gewonnen wird. Für die Hülle nutzten sie ein transparentes thermoplastisches Polyurethan. Das Resultat waren eingekapselte Aerogelfasern (EAF) in verschiedenen Farben. Ihr Aufbau ähnelt wie gewünscht den Haaren von Eisbären, wie Mikroskopaufnahmen belegen.

Wie gut isolieren die Aerogelfasern?

Um zu prüfen, ob die neu entwickelten Fasern auch ähnlich gut isolierend wirken wie Eisbärenfell, testeten die Wissenschaftler die Eigenschaften der eingekapselten Aerogelfasern. Dabei zeigte sich, dass sie hervorragend gegen Kälte isolieren und Wärme dämmen. Zugleich sind sie wasserabweisend, robust und flexibel. Am ausgeprägtesten waren diese Merkmale, wenn die Gummi-Schutzschicht 80 Mikrometer dick war und die innere Aerogelfaser einen Durchmesser von 600 Mikrometern aufwies, wie Wu und seine Kollegen feststellten.

Vorteilhaft auch: Anders als frühere Ansätze kann eine solche Faser bis auf das Tausendfache ihrer ursprünglichen Länge gedehnt werden, ohne zu reißen, auszuleiern oder ihre isolierende Wirkung zu verlieren, wie das Team berichtet. Traditionelle Aerogelfasern können hingegen nur um etwa zwei Prozent gedehnt werden. Eine einzelne Faser mit einem Durchmesser von 500 Mikrometern war zudem in der Lage, ein Gewicht von 500 Gramm zu tragen, ohne zu reißen.

Pullover aus Aerogelfasern wärmt besser als Daunen

Durch diese Eigenschaften kann das neue Garn zu dünner, aber stark wärmender Thermokleidung für den täglichen Gebrauch in extrem kalten Regionen gestrickt oder gewebt werden. Dies demonstrieren Wu und seine Kollegen, indem sie aus den von ihnen entwickelten Fasern einen dünnen Pullover mit derselben Strickstruktur wie ein Pullover aus Wollgarn webten. Anschließend verglichen sie dessen Eigenschaften mit Pullovern aus anderen Materialien.

Das Ergebnis: Der Aerogel-Pullover isolierte die Wärme ähnlich gut wie eine fünfmal so dicke Daunenjacke, wie die Wissenschaftler berichten. Insgesamt wärmte der Pullover deutlich besser als ähnlich dicke Kleidungsstücke aus Daunen, Wolle oder Baumwolle. Obendrein konnte er in einer Waschmaschine gewaschen werden, ohne seine Struktur oder Funktion zu verändern.

Potenzial für weitere Einsatzgebiete

Weil die Herstellung der Aerogelfasern zudem billiger ist als bei anderen Garnen, sind sie für die Textilindustrie von großem Interesse, schreiben Zhizhi Sheng und Xuetong Zhang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in einem begleitenden Kommentar zur Studie. Doch auch für andere Industriezweige sind die beschriebenen Merkmale der Aerogelfasern interessant.

Ihre poröse Struktur und damit verbundenen Eigenschaften prädestinieren eingekapselte Aerogelfasern demnach für zahlreiche weitere Anwendungen, beispielsweise zur Adsorption oder Trennung von Stoffen durch Membranen oder für energiespeichernde Materialien. Dafür müsste die Produktion von EAFs jedoch zunächst für Massenprodukte optimiert werden, so Sheng und Zhang. „Durch die gleichzeitige Weiterentwicklung der Materialien und ihrer Herstellung könnten Aerogelfasern viele potenzielle Anwendungen haben“, schreiben sie. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adj8013)

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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