Was fehlt, ist der „Panoramablick“: Menschen können ihre Umgebung schlecht überschauen – sie setzen das Bild ihrer Umwelt Blick für Blick zusammen. Neurowissenschaftler haben nun untersucht, was diese Blicke im Gehirn bewirken. Dabei ist es ihnen gelungen, ein Modell auf zu stellen, das erklärt, wie Augenbewegungen die menschliche Wahrnehmung beeinflussen.
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Menschen führen permanent Augenbewegungen durch, bei denen sie ihre Aufmerksamkeit schnell von einem Punkt auf den nächsten richten – so genannte Sakkaden. Die Forscher um Professor Dr. Markus Lappe vom Institut für Allgemeine und Angewandte Psychologie der Universität Münster verfolgen die Augenbewegungen von Versuchspersonen im Experiment. Die Personen fixieren dabei einen bestimmten Punkt auf einem Monitor. Nach einem Startsignal sollen sie den Blick von dem Punkt weg auf einen zweiten Punkt lenken – eine Sakkade ausführen. Die Pupillenbewegungen werden von speziellen Kameras aufgezeichnet.
Die Punkt-Konstellation auf dem Monitor lässt sich verändern, um verschiedene Fragen zu untersuchen. Bei einem Experiment „mogeln“ die Wissenschaftler: Während der Proband die Augenbewegung ausführt, wird der Zielpunkt leicht nach links oder rechts verschoben. Auf die erste Augenbewegung muss also eine zweite folgen, durch die der Blick korrigiert wird.
Verschiebung berücksichtigt
Wiederholt man das gleiche Experiment häufig, schaut der Proband nach einer Weile gleich bei der ersten Augenbewegung auf die „richtige“ Stelle. Er hat also gelernt, die Verschiebung des Objekts bei der Bewegung seiner Augen zu berücksichtigen. Dieser Lernprozess funktioniert unbewusst, so wie man sich an eine Brille gewöhnt.
Hat eine Person gelernt, eine Augenbewegung zu einem bestimmten Punkt durchzuführen, reagiert sie schneller auf einen neuen Punkt, wenn dieser kurz vor der Augenbewegung in der Nähe des ursprünglichen Ziels eingeblendet wird – in der so genannten Aufmerksamkeitsregion. „Jede Augenbewegung beeinflusst unsere Aufmerksamkeit“, so Lappe. Allein das Vorhaben des Gehirns, nach rechts zu schauen, macht es empfänglicher für optische Reize auf der rechten Seite.
Sensibilisierte Nervenzellen
Die eigenen Versuchsergebnisse verknüpfte die münstersche Forschergruppe jetzt mit vorliegenden neurophysiologischen Befunden und Ergebnissen aus der Psychologie: Gemeinsam mit Marc Zirnsak und Dr. Dirk Calow hat das Team unter Federführung von Dr. Fred Hamker ein Modell aufgestellt, das die Wechselwirkungen zwischen Augenbewegungen und Wahrnehmung erklären soll.
Im Gehirn sind die Seh-Nervenzellen so angeordnet, dass sie wie auf einer Landkarte die Punkte auf der Netzhaut repräsentieren. „Lernt die Versuchsperson, eine Augenbewegung zu einem bestimmten Punkt zu machen, sind die Nervenzellen, die für diesen Punkt und seine Umgebung zuständig sind, sensibilisiert“, erklärt Hamker das Modell.
Optische Täuschung durch eigene Augenbewegung
Diese sensibilisierten Zellen antworten auf ein Reizsignal stärker als ihre Nachbarn. Als Folge davon reagieren Versuchspersonen schneller auf einen Lichtpunkt, der im Zuständigkeitsbereich der sensibilisierten Nervenzellen liegt. Oder ein Punkt wird an einer Stelle wahrgenommen, wo er gar nicht ist, weil die sensibilisierten Zellen auf einen Reiz stärker reagieren als ihre Nachbarn, die eigentlich zuständig sind. Der Ort, an dem jemand ein Objekt wahrnimmt, entspricht also nicht unbedingt der Stelle, an dem es auf der Netzhaut abgebildet wird – eine optische Täuschung, verursacht durch die eigene Augenbewegung.
Die Vorhersagen, die sich aus dem neuen Modell ergeben, können künftige experimentelle Untersuchungen lenken, so die Forscher. Zudem könnte das Modell für die Entwicklung künstlicher Sehsysteme bedeutsam sein.
(idw – Universität Münster, 14.03.2008 – DLO)