Blick in die Ursuppe: Forschende haben im Röntgenlaser erstmals eine chemische Umwandlung beobachtet, die in der irdischen „Ursuppe“ abgelaufen sein könnte – als erster Schritt zum Leben. Dabei werden Harnstoffmoleküle unter Einfluss energiereicher Strahlung zu hochreaktiven Radikalen. Dies setzt eine Reaktionskette in Gang, durch die einst die Grundbausteine der DNA entstanden. Die Messungen bestätigen zudem, dass diese Harnstoffumwandlung schnell genug abläuft, um sich in Ursuppe durchsetzen zu können, wie das Team in „Nature“ berichtet.
Wie und wo begann das Leben auf der Erde? Bisher ist diese Frage nicht geklärt, aber es gibt zumindest Hinweise darauf, welche Moleküle die Vorstufen zu den ersten Lebensbausteinen bildeten. So bewies schon das berühmte Miller-Urey-Experiment in den 1950er Jahren, dass unter den Bedingungen der Urerde und durch energiereiche Blitze erste Biomoleküle wie Aminosäuren und DNA-Vorstufen entstehen können. Ebenfalls präsent war Harnstoff (CH4N2O), ein einfaches Molekül, das mit Stickstoff und Kohlenstoff die essenziellen Bausteine für DNA-Basen und Aminosäuren liefert.
„Harnstoff und seine photoinduzierten Reaktionen sind eine wichtige Säule für die aktuellen Theorien zur Entstehung des Lebens“, erklären Zhong Yin von der ETH Zürich und seine Kollegen. „Wenn Harnstoff ionisierender Strahlung ausgesetzt wird, bildet er Malonsäure, die dann mit weiterem Harnstoff zu verschiedenen DNA-Basen reagieren kann.“ Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Harnstoff zunächst durch energiereiche Strahlung in eine reaktive Form umgewandelt wird.
Zwei Laserpulse und eine Harnstofflösung
Diesen wichtigen ersten Schritt in der photoinduzierten Harnstoff-Reaktionskette haben Yin und seine Kollegen nun erstmals direkt beobachtet. Dafür bestrahlten sie einen mikrometerdünnen Strahl hochkonzentrierter Harnstofflösung mit ultrakurzen Pulsen eines Röntgenlasers. Dabei lieferte ein erster, intensiverer Puls die Energie, um die Reaktion zu starten: Er schlug Elektronen aus einigen Harnstoffmolekülen heraus und ionisierte sie dadurch.
Direkt danach folgte ein zweiter, weicherer Röntgenpuls, der als Messwerkzeug diente: Das Team fing sein Licht mit einem Röntgenspektrometer ein und konnte so ermitteln, wie die Harnstoffmoleküle auf diese Ionisation reagierten. „Das Neue an unserem Experiment ist, dass wir extrem schnelle Prozesse bei einem Molekül beobachten konnten, das in einer wässrigen Umgebung vorliegt“, erklärt Koautor Ludger Inhester vom Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg. „Frühere Versuche hatten sich solche Reaktionen nur in der Gasphase angeschaut.“
Protonentransfer erzeugt reaktive Radikale
Tatsächlich gelang es den Chemikern, die entscheidenden ersten Reaktionsschritte der Harnstoffumwandlung zu beobachten. Zu sehen war, wie das nach Verlust eines Elektrons positiv geladene Harnstoffmolekül ein Proton an ein zweites, nicht ionisiertes Harnstoffmolekül abgibt. „Durch diesen Protonentransfer entsteht ein Harnstoff-Radikal sowie ein weiteres positiv geladenes Harnstoff-Ion“, erklärt Inhester. Dem Harnstoff-Radikal fehlt ein Proton, weshalb es hochreaktiv ist und relativ schnell mit anderen Molekülen weiterreagiert, unter anderem zu Malonsäure.
Das Experiment enthüllte auch, dass dieser strahlungsinduzierte Photonentransfer extrem schnell abläuft: Er benötigt nur rund 150 Femtosekunden, 150 Billiardstel Sekunden. „Das ist so schnell, dass diese Reaktion alle anderen Reaktionen, die theoretisch auch noch ablaufen könnten, ausbootet“, erklärt Seniorautor Hans Jakob Wörner von der ETH Zürich. „Das erklärt, warum sich in einer konzentrierten Harnstoff-Lösung Harnstoff-Radikale bilden und nicht andere Reaktionen ablaufen, die andere Moleküle bilden würden.“
Wichtiger erster Schritt
Diese Ergebnisse bestätigen damit, dass Harnstoff in der Ursuppe eine der Vorstufen für komplexere Lebensbausteine gewesen sein könnte – und dass energiereiche Strahlung die dafür nötigen Reaktionen in Gang gesetzt haben könnte. „Auf dieser Basis sind nun Folgestudien möglich, die die nächsten Reaktionsschritte untersuchen, die zur Bildung von Malonsäure und DNA-Basen führen“, schreibt das Forschungsteam.
Gleichzeitig lassen sich mit der von ihnen entwickelten Methode nun auch andere chemische Reaktionen in wässrigen Lösungen untersuchen. „Sehr viele relevante chemische Reaktionen finden in Flüssigkeiten statt – nicht nur alle biochemischen Prozesse in unserem Körper, sondern auch viele chemische Synthesen, die für die Industrie relevant sind“, sagt Wörner. „Daher ist es wichtig, dass wir die zeitlich hochaufgelöste Röntgenspektroskopie nun auf Reaktionen in Flüssigkeit ausgeweitet haben.“ (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06182-6)
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich), Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY