Kohlenhydrate machen nicht nur satt, sie dienen auch als Grundlage für neue Impfstoffe. Die Stoffe herzustellen und als Impfstoffe zu testen wird nun deutlich leichter – dank eines automatischen Synthesizers, den Max-Planck-Wissenschaftler entwickelt haben.
Das neue Gerät stellt beliebige Kohlenhydrate aus einzelnen Zucker-Molekülen her. Da Kohlenhydrate auf den Hüllen von Krankheitserregern sitzen, bieten sie dem Immunsystem einen Angriffspunkt und eignen sich als Impfstoffe, um das Immunsystem auf die Mikroben abzurichten. Fast ein Dutzend Impfstoff-Kandidaten unter anderem gegen den Malaria-Erreger haben die Forscher bereits identifiziert und mit der neuen Apparatur hergestellt.
Kartoffeln, Reis und Nudeln verdanken ihren Nährwert der Stärke, einem Kohlenhydrat aus vielen aneinanderhängenden Zucker-Molekülen. Weitverzweigte Kohlenhydrate können aber auch die Basis für neue Impfstoffe und Medikamente gegen Malaria, HIV und eine Reihe anderer Krankheiten bilden.
Methode konkurrenzlos
Auf der 237. Tagung der American Chemical Society in Salt Lake City hat Peter H. Seeberger vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, einen vollautomatischen Kohlenhydrat-Synthesizer, eine Synthese-Anlage für Kohlenhydrate, vorgestellt und erhielt dafür den Claude S. Hudson-Preis für Kohlenhydratchemie der American Chemical Society. Mit diesem Gerät lassen sich auch komplexe Moleküle aus vernetzten Zuckermolekülen gezielt in wenigen Stunden herstellen. Mit der bislang gebräuchlichen Technik dauerte das Monate oder gar Jahre.
„Unsere automatische Synthese-Anlage bietet derzeit die konkurrenzlos schnellste Methode, um komplexe Kohlenhydrate herzustellen“, sagt Seeberger, der die Entwicklung leitet. „Da es bislang keine effizienten Verfahren dafür gab, hatten Biologen und Mediziner mit Kohlenhydraten ein Problem.“ Oft hätten sie die Arbeit daran sogar aufgeben müssen, weil sie keine Geräte kaufen konnten, um die Stoffe zu produzieren. „Es war entnervend“, klagt Seeberger – und hat Abhilfe geschaffen.
Ein ähnliches Problem hatten Wissenschaftler, die DNA-Moleküle oder Proteine herstellen wollten, vor Jahrzehnten – ehe automatische DNA- und Protein-Synthesizer erfunden wurden. Diese Geräte revolutionierten die Genetik und die Proteomik. Dieselbe Wirkung könnte der Kohlenhydrat-Synthesizer auf den Gebieten der Glykochemie und Glykobiologie haben, die nach Glykanen oder Zuckern, den Bausteinen der Kohlenhydrate, benannt sind.
Wie Perlen auf einer Kette
Bereits 2001 präsentierte Seeberger einen Prototypen, den er am Massachusetts Institute of Technology entwickelt hatte. An der ETH Zürich entwickelte sein Team das Gerät weiter. Nun warten die Wissenschaftler mit einer Version auf, die vollautomatisch und daher sehr schnell brauchbare Mengen auch von bislang kaum zugänglichen Kohlenhydraten produziert. Wer das neue Gerät betreiben will, muss außerdem kein Experte in der Kohlenhydrat- Synthese mehr sein.
Die Ketten oder Netze aus Zuckermolekülen sind wegen ihrer komplizierten, verzweigten Struktur schwierig herzustellen. Daher arbeiten Wissenschaftler heute mit Molekülen, die sie aus der Natur isoliert haben, statt die Moleküle mühevoll Schritt für Schritt zu synthetisieren. „Wir stellen die Stoffe jetzt chemisch her“, erklärt Seeberger: „Der automatische Synthesizer reiht einzelne Zucker, die Bausteine der Kohlenhydrate, wie Perlen einer Kette aneinander.“
Kohlenhydrate spielen eine entscheidende Rolle im Immunsystem, vor allem in der körpereigenen Abwehr gegen krankheitserregende Viren und Bakterien. Die meisten dieser Mikroben tragen charakteristische Kohlenhydrat-Marker auf ihrer Oberfläche. Diese Kohlenhydrate erkennt das Immunsystem als fremde Stoffe und erzeugt mit Antikörpern eine Immun-Antwort, um die Infektion zu bekämpfen. Oft dauert es jedoch recht lange, manchmal zu lange, ehe diese Immun-Antwort erfolgt.
2010: klinische Studien mit Malaria-Impfstoff
„Impfstoffe trainieren das Immun-System, spezielle Moleküle auf der Oberfläche eines infektiösen Organismus zu erkennen und schneller zu reagieren“, erklärt Seeberger: „Mit dem Synthesizer können wir nicht nur eine, sondern gleich viele dieser Kohlenhydrat-Strukturen eines bestimmten Organismus herstellen.“ Diese werden dann darauf getestet, ob sie gegen die Mikrobe schützen können. Synthetische Kohlenhydrate, die einen Schutz versprechen, kommen als Grundlage neuer Impfstoffe in Frage.
Erst kürzlich entdeckte Seebergers Team auf diese Weise auf der Hülle des Malaria-Erregers P. falciparum ein Kohlenhydrat, mit dem sich der Parasit Zugang zu menschlichen roten Blutkörperchen verschafft. Mit dieser Entdeckung klärte das Team das Geheimnis auf, wie die Infektion erfolgt. Mit dem Kohlenhydrat-Synthesizer hat die Gruppe nun einen Impfstoff entwickelt, der in ersten klinischen Studien ab 2010 getestet werden soll.
„Nach meinem Wissen ist unser Impfstoff der erste, der eine Malaria-Erkrankung verhindern könnte“, sagt Seeberger. Denn er arbeitet nach einem anderen Mechanismus als bislang verfolgte Ansätze. Der Kohlenhydrat-Impfstoff tötet den Malaria-Parasiten nicht, sondern unterbindet seine krankmachende Wirkung. Die Antikörper blockieren die Zucker-Strukturen auf der Oberfläche des Erregers, sodass dieser nicht mehr in die roten Blutkörperchen eindringen und eine Anämie hervorrufen kann.
Fast ein Dutzend neue Impfstoffe
Diesen Kohlenhydrat-Impfstoff wird Seebergers Gruppe mit einem herkömmlichen, protein-basierten Impfstoff kombinieren und so einen konjugierten Impfstoff schaffen. Dieser sollte sich auch am besten eignen, um Kinder unter zwei Jahren zu immunisieren, die unter einer Malaria-Infektion besonders leiden.
Neben dem Malaria-Impfstoff haben Seeberger und seine Mitarbeiter bereits fast ein Dutzend anderer Substanzen identifiziert, die das Immunsystem stimulieren und sich nun in klinischen Studien beweisen sollen. Darunter auch Impfstoffe gegen den Aids-Erreger HIV oder Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind.
Sequenzierung als Zusatzproblem
Den Kohlenhydrat-Synthesizer, der dies erst möglich macht, wird Seeberger mit dem Start-up-Unternehmen Ancora Pharmaceuticals auf den Markt bringen, das seinen Sitz in Medford, Massachusetts hat. Das neue Gerät löst jedoch nur eines der beiden großen Probleme, die Seeberger in der Glykobiologie sieht: den Bau der komplexen Moleküle.
„Das andere Problem ist wie in der Genomik, etwa beim Human-Genom-Projekt, oder der Proteomik die Sequenzierung“, sagt Seeberger. Denn schließlich müssen die Glykobiologen dem Synthesizer vorgeben, zu welcher Struktur er die einzelnen Zucker-Moleküle verknüpfen soll. Und diese Strukturen lassen sich bislang nur mit relativ großem Aufwand bestimmen.
„Wir hoffen aber, dass unser Synthesizer in der Kohlenhydrat-Forschung eine ähnliche Entwicklung anstoßen wird wie der erste automatische DNA-Synthesizer in der Genetik und Biotechnologie“, sagt Seeberger. Nachdem sich DNA nämlich effizient aufbauen ließ, wurden auch die Methoden der DNA-Sequenzierung immer leistungsfähiger.
(idw – Max-Planck-Gesellschaft, 26.03.2009 – DLO)