Chorgesang im Blätterdach: Hier singen weibliche und männliche Weißhandgibbons zusammen im Duett. Dabei beweisen sie ein außergewöhnliches, isochrones Rhythmusgefühl, wie es auch für menschliche Musik typisch ist. Außerdem synchronisieren die Gesangspartner ihre Töne, wie Wissenschaftler jetzt herausgefunden haben. Der gemeinsame Gesang stärkt wahrscheinlich ihre Paarbindung.
Musik und Rhythmusgefühl sind längst nicht nur uns Menschen vorbehalten. Auch im Tierreich gibt es einige begabte Sänger. Ein offensichtliches Beispiel sind Singvögel. Doch selbst Mäuse und auch nicht-menschliche Primaten singen. Bislang war der auf Madagaskar lebende Indri-Lemur allerdings der einzige Primat, der nachweislich ein dem unsrigen ähnliches Rhythmusgefühl besitzt und zwischen seinen Tönen feste Abstände einhält.
Duette in Thailand und in Italien
Doch nun bekommen die Indris Konkurrenz von einem weiteren affigen Taktgeber: dem Weißhandgibbon. Bisher war zwar bekannt, dass Gibbons für ihren Gesang die gleiche Stimmtechnik wie ausgebildete Sopranistinnen nutzen. Doch erst jetzt haben Forschende um Teresa Raimondi von der Universität Turin auch einen genaueren Blick auf das Rhythmusgefühl dieser zu den Menschenartigen gehörenden Affen geworfen.
Dafür zeichneten die Biologen Duett-Gesänge und männliche Solos von insgesamt zwölf Weißhandgibbons aus Wildparks in Thailand und Italien auf. In den Gesängen suchten sie einerseits nach regelmäßigen rhythmischen Mustern (Isochronie), vergleichbar mit dem Ticken einer Uhr, und andererseits nach synchronen Überlappungen beider Gesangspartner.
Rhythmische, synchrone Paargesänge
Das Ergebnis: Die Gesänge der Gibbons weisen tatsächlich isochrone Muster auf, so wie menschlicher Gesang, berichtet das Forschungsteam. Damit sind Weißhandgibbons neben Indris und Menschen nun die dritte Primatenart, die nachweislich Rhythmus im Blut hat. Dieser Rhythmus ist bei den männlichen Gibbons stärker ausgeprägt, wenn sie mit einem Weibchen im Duett singen statt alleine. „Das deutet darauf hin, dass die Interaktion zwischen den Sängern die rhythmische Struktur des Gesangs prägen kann“, erklären Raimondi und ihre Kollegen.
Außerdem versuchen die beiden Gesangpartner, ihre Lieder möglichst synchron zu gestalten. Im Gibbon-Duett überschneiden sich 16 bis 18 Prozent der Töne, eine Synchronisierungsrate, die laut Wissenschaftlern über dem Zufall liegt. Besonders synchron sind jene Pärchen, die schon länger zusammen sind, wie frühere Studien zeigten.
Aber warum singen Weißhandgibbons überhaupt im Duett? Raimondis Team vermutet, dass Gibbonpaare durch den gemeinsamen Gesang ihre Bindung festigen und gleichzeitig anderen Gibbons mitteilen, dass sie bereits vergeben sind. Unabhängig vom Paarduett wurde bei Gibbons aber auch schon beobachtet, dass sie singen, um Raubtiere abzuschrecken und Artgenossen zu warnen.
Neuer Ansatz für Evolution der Musikalität
Die Ergebnisse von Raimondi und ihren Kollegen stützen außerdem die Idee, dass sich das Rhythmusgefühl im Laufe der Evolution bei mehreren Primatenarten entwickelt haben könnte – entweder unabhängig voneinander oder als Folge eines gemeinsamen rhythmischen Vorfahren. Die Studie könnte einen neuen Ansatz bieten, um diese Beziehungen genauer zu untersuchen.
„Wir vermuten, dass die Klärung der Verbindung zwischen Synchronie und Isochronie ein wesentlicher Schritt zur Rekonstruktion der Evolution der Musikalität und ihrer Bedeutung für unsere und andere Arten sein könnte“, schreiben die Wissenschaftler. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2022; doi: 10.1098/rspb.2022.2244)
Quelle: Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences