Osmose als Ernährungsstrategie?
Osmose beruht auf dem naturgegebenen Bestreben von Molekülen in Lösung nach einem Konzentrationsausgleich. Im Falle der Ediacara-Fauna würde dies bedeuten: Nährstoffe aus dem umgebenden Wasser strömen über die Haut in den Körper, weil ihre Konzentration im Wasser höher ist als im Körper der Lebewesen.
Die Sache hat jedoch gleich zwei Haken: Zum einen muss die Körperoberfläche im Verhältnis zu Körpervolumen groß genug sein, um ausreichend Austauschfläche zu bieten. Zum anderen aber muss die Umgebung tatsächlich eine relativ hohe Konzentration an Nährstoffen aufweisen. Heute schaffen es meist nur mikroskopisch kleine Bakterien, sich effizient mit Hilfe der Osmose zu ernähren. Es gibt allerdings auch einige Tiere wie Schwämme oder Korallen, die die Osmose zumindest als ergänzende Nahrungsquelle nutzen.
Oberfläche groß genug
Wie aber sah es mit den Ediacarium-Organismen aus? Die Wissenschaftler untersuchten zunächst anhand von Simulationen, ob und wie die frühen Mehrzeller durch anatomische Anpassungen ihre Körperoberfläche soweit vergrößert haben konnten, dass sie ähnliche Oberfläche-Volumen-Verhältnisse erreichten wie heutige Osmose nutzende Bakterien. Das Modell ergab, dass die verzweigte, lappige Struktur der Rangeomorphen bereits optimal für eine Oberflächenvergrößerung sorgt – mit jedem Zweig erhöht sie sich.
Bei den mattenähnlichen Erniettomorphen dagegen könnte eine Vergrößerung durch Anbau von weiteren Kammern der „Luftmatratze“ erreicht worden sein. Denn vor allem die Existenz von internen, flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen, den Vakuolen, verschoben das Verhältnis stark zugunsten einer effektiven Osmose. „Unsere Modelle deuten darauf hin, dass interne Vakuolen ein besonders effektiver Weg sind um das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen bei komplexen, makroskopischen Organismen zu verbessern“, erklärt Kowalewski.
Tiefenwasser nährstoffreich
Aber wie sah es damals mit dem zweiten Punkt aus, dem Nährstoffreichtum der Ozeane? Nach Ansicht der Wissenschaftler bot das Ediacarium in dieser Hinsicht sogar optimale Bedingungen, da es damals einen weitaus größeren Pool an gelöster organischer Materie vor allem in den tieferen Wasserschichten gab als heute. Ursache dafür war die weitestgehende Abwesenheit von Tieren mit echten Därmen, die ihren Kot in Form kompakter Pellets hätten absetzen können. Stattdessen gaben die Organismen ihren Kot unkomprimiert ab und trugen so dazu bei, dass sich dieser schnell löste und zersetzt wurde. Die Produkte dieses Abbaus bleiben lange im Wasser erhalten und bildeten damit die Nahrungsgrundlage für Rangeo- und Erniettomorphe.
„Wir glauben, dass die Ediacarium-Lebewesen sich von gelöstem organischem Kohlenstoff ernährten. Er repräsentiert das organische Material von Pflanzen, Pilzen und Tieren, das sich während des natürlichen Abbaus in Fette und Proteine zersetzt hat“, so der Forscher. „Diese Verbindungen wurden dann mittels Osmose durch die Haut der Ediacarium-Lebewesen absorbiert, darauf deuten die Oberflächen-Volumen-Verhältnisse hin.“
Riesenmikrobe von heute als moderne Entsprechung
Die Wissenschaftler vergleichen die Lebensweise der Ediacara-Fauna mit der des heute noch lebenden Riesen-Schwefelbakteriums Thiomargarita. Vor einigen Jahren vor der Küste Namibias entdeckt, ernährt sich diese Mikrobe ebenfalls per Osmose und profitiert dabei von dem extremen Nährstoffreichtum des dort aufsteigenden Tiefenwassers.
„Solche nährstoffreichen Regionen könnten moderne Analogien zu der Tiefsee des Ediacariums sein“, erklärt Xiao. „Das deutet daraufhin, dass es mehr als nur Zufall ist, dass die frühesten Ediacarium-Lebewesen in den tiefen Wasserschichten vorkamen, die besonders reich an gelöstem organischem Kohlenstoff waren.“
(Virginia Tech, 21.08.2009 – NPO)
21. August 2009