Schneeflocken sind nicht nur wunderschön und vielfältig, sie geben auch nach wie vor Rätsel auf. Eines davon hat nun ein amerikanischer Chemiker gelüftet. Er entdeckte, dass die Dicke einer extrem dünnen Wasserschicht auf der Kristalloberfläche eine entscheidende Rolle für die Form und Formveränderungen der Flocken spielt. Diese Erkenntnis hat auch Bedeutung für die Wechselwirkungen des Schnees mit seiner Umwelt.
Einer, der Schneeflocken nicht nur im Winter studiert, sondern sie das ganze Jahr hindurch züchtet und untersucht, ist der analytische Chemiker Travis Knepp. In einer speziellen Laborkammer, in der Temperatur und Luftfeuchtigkeit gezielt eingestellt werden kann, lässt der Forscher Schneeflocken entlang eines Fadens wachsen und beobachtet, wie sich ihre Form unter verschiedenen Bedingungen verändert. Dabei stieß er auf einen relativ abrupten Übergang zwischen zwei typischen Kristallformen:
Formwechsel bei bestimmten Temperaturen
Bei Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt, zwischen – 2,8°C und 0°C, wachsen die Seiten der Schneekristalle schneller als die Ober- und Unterseite. Dadurch nehmen diese Flocken eine kompakte, plattenartige Struktur an. Zwischen – 10°C und -2,8°C gewachsene Kristalle gleichen dagegen großen Prismen oder Eisnadeln. Je höher die Luftfeuchtigkeit beim Entstehen der Kristalle ist, desto stärker verzweigen sie sich zudem. Im Laufe ihres Lebens können sich die Schneeflocken mehrfach umkristallisieren, je nachdem, welche Bedingungen sie ausgesetzt sind.
Wasserschicht bestimmt Umspringpunkt
Doch warum gibt es so scharfe Grenze der Formgebung bei bestimmten Temperaturen? Und welche Faktoren bestimmen die Lage dieser Grenze? Auch das fand der Wissenschaftler bei seinen Versuchen heraus. „Auf der Oberfläche jedes Eises gibt es eine sehr dünne Wasserschicht“, so Knepp. „Selbst weit unterhalb des Gefrierpunkts existiert in dieser sehr dünnen Schicht Wasser in einer quasi-flüssigen Form. Deshalb ist Eis auch so glatt. Immer wenn man ausrutscht, rutscht man nicht auf dem Eis aus, sondern auf dieser dünnen Wasserschicht.“
Und genau diese Schicht ist auch für die verschiedenen Formen des Schneekristalls verantwortlich, wie der Forscher jetzt belegte. „Die Dicke und Präsenz dieser dünnen Wasserschicht bestimmt die allgemeine Form, die der Schneekristall annimmt”, so Knepp. „Wenn wir die Dicke dieser Schicht änderten, veränderten wir auch die Temperatur, bei der der Kristall seine Form wandelte. Bisher war nicht bekannt, dass diese quasi-flüssige Schicht eine so signifikante Rolle für die Formgebung spielt.
Bedeutung für Umweltchemie
Diese Erkenntnis erklärt jedoch nicht nur eines der Rätsel der Schneeflocken, es hat auch eine Bedeutung für die Wechselwirkung des Schnees mit seiner Umgebung. „An der Oberfläche von Eis passiert eine Menge Chemie”, erklärt der Forscher. „Indem wir die physikalischen Strukturen des Schneekristalls besser verstehen – wie es wächst und warum es eine bestimmte Form einnimmt – können wir mehr darüber erfahren, was an seiner Oberfläche geschieht.“
Ein Beispiel dafür sind die komplexen Reaktionen des Ozonabbaus in Arktis und Antarktis. Ein Teil dieser chemischen Prozesse findet an der Oberfläche von Eiskristallen und Schneeflocken statt. Weil die Form der Kristalle die Größe der Oberfläche bestimmt, hat sie auch Einfluss auf die Intensität der ozonabbauenden Reaktionen. Umso wichtiger ist die genaue Kenntnis der so „wandelbaren“ Schneeflocken.
(Purdue University, 30.12.2009 – NPO)